Freitag, Dezember 22, 2006

Zwischen Chaos und Ballett: Leben auf einem Flugzeugträger


Die elf Flugzeugträger der amerikanischen Navy sind ein «wichtiges strategisches Standbein» der US-Streitkräfte. Während eines Besuchs an Bord der «USS Kennedy» hatte die BaZ Gelegenheit, die Arbeit der Crew zu beobachten. Die «Kennedy» ist derzeit unterwegs in den Persischen Golf, wo sie die «USS Roosevelt» ablösen wird.

Die Wellen des Ozeans kommen näher und näher. Durch eine kleine Luke in der Flugzeugwand wird die Gischt erkennbar. In Rettungsweste, Helm und Brille sowie rückwärts sitzend, trifft mich der Aufprall mit voller Wucht: Ein kurzer Hüpfer, dann packt der Haken unter dem Flugzeugschwanz das an Bord gespannte Stahlseil. Die Fliehkraft drückt mich in den Sessel. Innert Sekunden bremst die C-2 Greyhound von über 100 Stundenkilometern auf Null ab.

Von Peter Schibli, an Bord der «USS Kennedy»

Eingehüllt in Wasserdampf und Abgase, kommt die Transportmaschine auf dem Flugdeck zum Stehen. Durch die sich öffnende Heckluke werden rote, grüne, gelbe und blaue Westen sichtbar. Gebannt starren die Gestalten auf den Neuankömmling. Ein weiss markierter Offizier signalisiert, den Helm und die Brille aufgesetzt zu lassen. Der feucht-heisse Luftdruck sowie der Lärm startender Maschinen wirken benebelnd. Zuvorkommend werde ich zu einem sicheren Raum im Schiffsinneren geleitet. Sicherheit wird gross geschrieben. Erst jetzt darf ich die Rettungsutensilien ablegen. «Willkommen in der schwimmenden Stadt», lautet der kurze Gruss des Public Affairs Officers, Jim Walker.

Gigantische Ausmasse

Die «USS Kennedy» zählt 5200 Mann Besatzung. Rund die Hälfte ist für die Versorgung, die Navigation sowie den Unterhalt zuständig. Die andere Hälfte betreut den Flugbetrieb. 85 Flugzeuge befinden sich an Bord, mehrheitlich F/A-18 Hornet, F-14 Tomcat und EA-6b Prowler. Zwei Helikopter halten sich zu Rettungseinsätzen bereit.

Das Flugdeck ist 315 Meter lang und 76 Meter breit. Insgesamt vier Seile werden nebeinander gespannt und fangen anfliegende Maschinen auf; dies geschieht in voller Fahrt. Das Schiff selbst fährt bis zu 30 Knoten (rund 50 Stundenkilometer) schnell. Jede Einzelheit ist überwältigend: Die vier Schrauben haben einen Durchmesser von je sieben Metern. Ein Anker wiegt 30 Tonnen.

Heimathafen ist Mayport (Florida). Seit ihrem Stapellauf im Jahr 1968 war die «Kennedy» an vielen wichtigen Operationen beteiligt: Kampfjets des Carriers schossen 1989 im Mittelmeer zwei libysche Maschinen ab. Im Januar 1991 war das Schiff vorübergehend Kommandozentrale der «Operation Desert Storm». Während des Golfkriegs schoss die Besatzung insgesamt 114 Cruise Missiles ab; ihre Piloten flogen 2900 Einsätze.

Admiral Michael Johnson kommandiert von der «Kennedy» aus die gesamte Schlachtgruppe, zu der zwei U-Boote, ein Zerstörer, ein Kreuzer sowie mehrere Versorgungs- und Landungsschiffe gehören. Im Gespräch mit der BaZ rühmt er die Besatzung in den höchsten Tönen: «Meine Jungs haben noch nie verloren. Sie sind hochmotiviert und professionell», lobt er und ergänzt: «Was auf den ersten Blick wie Chaos aussieht, ist in Wirklichkeit Ballett.»

Gleichzeitig gesteht Johnson ein, dass das Flugdeck ein «ausgesprochen gefährlicher Arbeitsplatz» ist. Wie geht der Kommandant mit dem Unfallrisiko um? Seine Antwort lautet: «Training, Training, Training.» Neben der technischen Ausbildung habe die «mentale Vorbereitung auf einen allfälligen Zwischenfall» einen «sehr hohen Stellenwert», betont er.

Flugzeugträger werden wichtiger

Flugzeugträger sind wegen ihrer Unabhängigkeit und Grösse wichtige militärstrategische Standbeine einer Militärmacht. Nach Aussage von Admiral Donald Pillig, Vize-Admiral der «US Naval Operations», werden künftige Konfrontationen mit Diktatoren und Despoten nicht von Landarmeen, sondern von der Navy und der Air Force gewonnen.

Bisher galt die Doktrin, dass die US-Streitkräfte maximal in zwei regionale Konflikte involviert sein können. Neu werden auch Engagements in drei oder vier Regionalkriegen für möglich gehalten. Dies hat Folgen: Pentagon-Planer sowie Mitglieder des Militärausschusses im Kongress sind der Ansicht, dass die Navy mehr Flugzeugträger braucht. Derzeit besitzt sie elf; zwei weitere sind im Bau.

Das Leben an Bord der «schwimmenden Stadt» lässt sich am besten während eines Rundgangs beobachten. Zuoberst im Turm überwacht der Air-Boss den Luftverkehr. Pausenlos starten und landen Maschinen. Die Kampfflieger sind Teil des Manövers. Laut Szenario führen zwei fiktive Staaten, Korona und Kartuna, Krieg gegeneinander. Die «USS Kennedy» hat den Auftrag, Korona sowie deren Verbündete zu schützen.

Von der Funkbrücke aus leiten Air-Boss Dan Onakage sowie Mini-Boss Greg Novak den gesamten Luftverkehr. Fein säuberlich protokollieren Helfer die einzelnen Bewegungen. Unten auf dem Flugdeck bereiten Mechaniker wartende Maschinen für den Start vor. Mit Handzeichen verständigt sich die Deck-Crew mit den Piloten.

Riesiger Bedarf an Treibstoff

Eine Etage tiefer, auf der Kommando-Brücke, überwacht der Kapitän das Auftanken des Flugzeugträgers. 1,9 Millionen Gallonen Treibstoff (rund 7,2 Millionen Liter) werden von einem Tankschiff auf die «USS Kennedy» gepumpt. Der Steuermann hält Kurs, während der Funker mit seinem Kollegen auf dem Tankschiff kommuniziert.

Auch im Hangar, im Maschinenraum sowie in den Labors herrscht professionelle Hektik. In der Küche werden täglich 15 600 Mahlzeiten zubereitet. Zusätzlich braucht es pro Tag 800 Laib Brot. Die Vorräte im Wert von 3,3 Millionen Dollar reichen für 80 Tage. Food-Direktor Don Homes verweist auf die grosse Auswahl: Neben Gemüse, Fleisch und Milchprodukten liebt die Besatzung Pizza oder Burger. «Ein leckeres Essen garantiert eine gut gelaunte Mannschaft», berichtet Homes.

An der Verpflegung dürfte es nicht liegen, dass die Navy, genau wie die US-Army und die Air Force, an Nachwuchsmangel leidet. 22 000 von insgesamt 375 000 Navy-Stellen sind unbesetzt. Präsident Clinton hat dem Kongress eine generelle Salärerhöhung von 9,9 Prozent beantragt. «Das Leben auf See ist nicht jedermanns Sache», weiss Admiral Johnson. Der Kontakt zur Familie leidet. Einsamkeit und Heimweh können Neulinge überwältigen. Colleges bieten lukrative Stipendien. Die Konjunktur läuft gut: Statt bei der Navy sucht man sich lieber einen Job in der Privatwirtschaft.


«Kampfpiloten sind aggressive Persönlichkeiten»

ps. Eller Ajello sitzt im Warteraum des 86. Kampfgeschwaders. Der F/A-18-Pilot wartet auf seinen nächsten Einsatz. Auf Monitoren ist die Tagesschau des US-Senders CBS zu sehen. Ein anderer Bildschirm zeigt das Flugdeck der «USS Kennedy» aus verschiedenen Perspektiven. Unter Getöse wird gerade ein Jet von Bord katapultiert.

Pausenlos klingeln Telefone. Über Lautsprecher sind Funksprüche der Flugkontrolle, des «War Room» und der Piloten zu hören: «101 take-off.» «Confirmed.» «101 airborn.» «Mission 35.25 North, 46.89 West.» «Confirmed.» «Target 46.39 South, 11.99 East.» «Confirmed.»

«Ruhe dich aus»

Im bequemen Armsessel döst Leutnant Ajello vor sich hin. Aus einer Kaffeemaschine blubbert eine schwarze Brühe in einen Krug. An der Wand hängen Einsatzpläne, Wettermeldungen, Flugrapporte, technische Berichte und einige Karikaturen. «Ruh dich aus, so oft du kannst», lautet die Empfehlung auf einem Banner.

Ajello ist 29-jährig, verheiratet und gehört der Navy seit 1993 an. Dank ihr hat er seinen Bubentraum verwirklicht: Seit drei Jahren fliegt der grossgewachsene Italo-Amerikaner auf der «USS Kennedy» Kampfjets. «Wir Piloten sind aggressive Persönlichkeiten», erklärt er dem Besucher. «Wir attackieren unsere Ziele wie Hunde die Katzen.» Nach sechsjähriger Flugpraxis kennt er Todesangst nur noch nachts, und auch dies nur unter besonders gefährlichen Umständen. «Tagsüber auf der ‹Kennedy› zu landen, macht richtig Spass», meint er und ergänzt scherzend: «Bezahlt werden wir für die Nachtlandungen.» Schlechte Erinnerungen hegt er an jene Nacht, in der er dreimal hintereinander durchstarten musste: «Anschliessend schickte mich der Air-Boss zur Erholung auf einen Landflughafen. Die Rückkehr aufs Schiff war eine überaus peinliche Erfahrung.» Auf einen Unfalltod oder eine Gefangennahme nach einem Abschuss fühlt sich Ajello ausreichend vorbereitet. «Wir leben mit dem Crash-Risiko und machen uns täglich unsere Gedanken.» Die totale Überlegenheit der US-Waffensysteme gebe ihm Selbstvertrauen, erklärt der Pilot, der während der Operation «Southern Watch» 1997 viereinhalb Monate lang «Erfahrung in einer feindlichen Umgebung» sammeln konnte.

Das Bordleben ist zur Routine geworden: Schlafen, Essen, Pikettdienst, Fliegen, Freizeit, Schlafen … Nach der Tagwacht und dem Frühstück absolviert Ajello ein erstes Briefing. Eine halbe Stunde später begutachtet er sein Flugzeug im Hangar. Dabei stellt er einen Defekt fest und beauftragt einen Mechaniker mit der Reparatur.

Um 9.30 Uhr steigt er auf dem Flugdeck in seine angeblich geflickte Maschine. Beim «Andocken» stellt die Crew fest, dass die Katapulthalterung nach wie vor klemmt. Aussteigen und zurück in den Hangar, lautet das Kommando. Während sich die Spezialisten des Problems annehmen, legt sich der Pilot für zwei Stunden aufs Ohr.

Nach dem Mittagessen klappt es mit dem Start. Ausgeruht fliegt Ajello vor der Küste South Carolinas einen Doppeleinsatz, tankt zweimal in der Luft auf und kehrt erst gegen 18 Uhr auf den Flugzeugträger zurück. Dem Abendessen folgen ein Abschluss-Briefing sowie ein Training im Kraftraum. Kurz vor Mitternacht, während der nächsten Pikettphase, findet er dann Zeit für das Gespräch mit der BaZ.

Ohne Familie und Freunde

Feldweibel Barbara Smith arbeitet im Elektronikraum. Die Fiber-Optik-Spezialistin ist gerade dabei, ein defektes Satellitenradar (Global-Positioning-System, GPS) zu flicken. Die 28-jährige ist seit elf Jahren bei der Navy. «Auf dem Schiff habe ich meine guten und meine schlechten Tage. Wenn ich arbeite, geht es mir blendend; in der Freizeit wünsche ich mir oft, ich wäre an Land.» Barbara vermisst ihre Eltern in Pennsylvania sowie ihre Freunde.

Zur Navy ging sie aus Karrieregründen: «In einigen Jahren möchte ich an ein College geschickt werden und dort ein Elektronik-Diplom machen. Wenn ich nach 25 Dienstjahren pensioniert werde, suche ich mir einen zweiten Job, entweder bei der Flugüberwachung oder bei der Flugaufsichtsbehörde FAA», träumt sie.

Trotz mehrerer Beziehungen hat sie den richtigen Mann fürs Leben noch nicht gefunden. Das Schiff ist für die Partnersuche wohl auch nicht der optimale Ort. «Positive Entwicklungen» festgestellt hat sie immerhin in Sachen «sexueller Belästigung»: «Heute werde ich von der mehrheitlich männlichen Besatzung viel weniger angemacht als vor zehn Jahren», berichtet Barbara. Sie führt dies primär auf das Training und die erhöhte Aufmerksamkeit zurück, die dem Thema beim Militär geschenkt wird.

Angst vor dem Tod hat die junge Frau nicht. Im vergangenen Jahr verbrachte sie sechs Monate im Persischen Golf. Auch der neue Einsatz der «USS Kennedy» in der Golfregion lässt sie kalt: «Wir sind auf alle möglichen Zwischenfälle vorbereitet. Ausserdem ist unser Schiff hervorragend geschützt. Ich bin sicher, dass es Saddam Hussein nicht wagt, uns anzugreifen.»

Nicht Teil der Kriegsmaschinerie

Eine ähnliche Einstellung wird bei Edward Crawford spürbar: «Die ‹USS Kennedy› ist ein unsinkbares Schiff und ein idealer Arbeitsplatz zugleich», meint er. Der 19-Jährige aus dem Bundesstaat Mississippi kam vor einem Jahr an Bord und leistet seither als Gehilfe im Büro des Schiffssekretärs Dienst: Er tippt Protokolle, schreibt Tagesbefehle und verschickt Pakete. Während unseres Gesprächs ist er gerade mit dem Verschnüren der «Trauerfahne» beschäftigt, die an die Kennedy-Familie gesandt wird. Die Flagge war während einer Schweigeminute aus Anlass des tragischen Unfalls von John Kennedy jr. auf Halbmast gesetzt worden.

Crawford, dessen Grossvater zur See fuhr, meldete sich unmittelbar nach der High School zum Militärdienst, weil er nicht seiner Mutter zur Last fallen wollte. Die finanzielle Hypothek für die sieben restlichen Kinder sei hoch genug, findet er. So zog der junge Farbige aus, um bei der Navy eine Ausbildung zu erhalten. Verpflichtet hat er sich für vier Jahre, in der Hoffnung, anschliessend an ein College geschickt zu werden.

Die Bezahlung ist schlecht

Die Diskriminierung auf dem Schiff bezeichnet er als «minimal». Die Hautfarbe sei «weder für Vorgesetzte noch für Kameraden ein Thema». Die Bezahlung indes könnte besser sein. Crawford verdient 850 Dollar monatlich. Von diesem Geld muss er die Uniform bezahlen. Den Rest schickt er seiner Mutter. «Für die Ausbildung meiner Geschwister», wie er stolz erzählt.

Der Dienst auf einem Kriegsschiff scheint für ihn Einstellungssache. Selbstverständlich möchte er später in einem zivilen Job arbeiten. Für den Moment aber besitzt er keine Alternative. Trotzdem: «Ich verstehe mich nicht als Teil der amerikanischen Kriegsmaschinerie, sondern als Peacekeeper.»

«Auf dem Schiff habe ich meine guten und meine schlechten Tage. Wenn ich arbeite, geht es mir blendend. In der Freizeit wünsche ich mir oft, ich wäre an Land.»

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