Mittwoch, Dezember 20, 2006

Botschafter Jagmetti fürchtet um das Ansehen der Schweiz


1996 standen Sie im «Zentrum des Sturms»: Carlo Jagmetti, Schweizer Botschafter in Washington, und sein Pressesprecher, David Vogelsanger, wurden mit Fragen und Interview-Wünschen amerikanischer Medien zum Thema der jüdischen Vermögen geradezu überrollt. Wie ist die Stimmung in den USA? Die BaZ sprach mit Botschafter Jagmetti.


BaZ: Im Zusammenhang mit der Suche nach jüdischen Vermögen und dem Raubgold wirft der amerikanische Senator Alfonse D'Amato der Schweiz «Unehrlichkeit», «Täuschung» sowie «Widerspenstigkeit» vor. Welche Motive verfolgt der Politiker?

Carlo Jagmetti: Der Senator aus New York und sein Mitarbeiterstab sind seit Monaten ausgesprochen aktiv. Weil wir mitten in einem Wahljahr stecken, ist ein generelles politisches Interesse festzustellen. Senator D'Amato steht in zwei Jahren zur Wiederwahl an. Seine Popularität im Bundesstaat New York befindet sich gemäss Umfragen auf einem Tiefststand. Um wiedergewählt zu werden, muss er möglichst früh mit seiner Kampagne beginnen - vorausgesetzt, er kandidiert erneut. Da jüdische Wählerinnen und Wähler - traditionell eher Demokraten - in New York ein bedeutender politischer und wirtschaftlicher Faktor sind, ist das Thema der jüdischen Gelder wichtig.
Und sein Mitarbeiterstab?

Senator D'Amatos Mitarbeiter haben ein persönliches Interesse, sich durch einen aggressiven Arbeitsstil zu profilieren: Im amerikanischen System kommt und geht man mit dem Chef, der das tägliche Brot garantiert. Ausserdem kann ein Mitarbeiter seine Karrierechancen durch einen spektakulären Einsatz möglicherweise verbessern.

Wird auch aus anderen Kreisen Kritik an der Schweiz erhoben?

Grosses Interesse an dem Thema bekunden seit längerem der Jüdische Weltkongress sowie jüdische Organisationen. Aus dem US-Repräsentantenhaus haben sich fünf Abgeordnete gemeldet und im Rahmen einer normalen Erkundungstätigkeit ihr Interesse bekundet. Inzwischen ist auch die Regierung aktiv geworden: Das State Department hat einen Sonderbeauftragten für herrenlose Vermögen in Osteuropa eingesetzt und beim Historikerbüro eine Studie zu der Problematik in Auftrag gegeben.

Wie erklären Sie die Tatsache, dass die Vorwürfe in den amerikanischen Medien auf grosse Aufmerksamkeit stossen?
Ein wichtiger Grund ist zweifellos, dass mit der Vermögenssuche tiefe menschliche Emotionen verbunden sind: Holocaust-Überlebende, mehrheitlich Senioren, beklagen, von den Banken um ihr Familienvermögen geprellt worden zu sein.

Ein zweiter Faktor ist unser aller Kurzzeitgedächtnis: Nur die wenigsten können sich daran erinnern, dass bereits vor Jahrzehnten über die gesamte Materie verhandelt wurde. Die medienwirksame Überraschung, die jetzt täglich gespielt wird, wenn wieder ein «Archivfund» an die Öffentlichkeit kommt, ist - rein menschlich gesehen - verständlich. Institutionell ist sie jedoch nicht gerechtfertig.

Die Schweizer Archive sind offen. Viele der von Senator D'Amato präsentierten Dokumente werden in der historischen Literatur zum «Washingtoner Abkommen» ausführlich behandelt und waren der damaligen amerikanischen Verhandlungsdelegation bekannt. Von der Öffentlichkeit wurden sie nur nicht zur Kenntnis genommen.

Besitzt die Schweiz ein Nachholbedürfnis bezüglich Vergangenheitsbewältigung?

Bundesrat Villiger hat sich im Mai 1995 als Bundespräsident in seiner Rede zum 50. Jahrestag des Kriegsendes bemüht, einen ehrlichen Schritt in diese Richtung zu tun. Diese wichtige Ansprache sowie die Öffnung der amerikanischen Archive mögen beide dazu beigetragen haben, dass auch im Ausland ein grosses Interesse an einer Aufarbeitung dieser Periode unserer Geschichte entstanden ist.

Erfolgt die Fortsetzung der Aufarbeitung freiwillig, oder wurde sie durch Druck aus dem Ausland erzwungen?

Schweizer Historiker haben von sich aus wesentliche Beiträge geleistet. Was die jüdischen Gelder betrifft, wurde die Einsetzung der Volcker-Kommission sowie der Bundesbeschluss über eine nationale Historikerkommission zweifellos durch Druck von aussen beschleunigt. Inwiefern die Bankiervereinigung durch ihre erste Untersuchung zu diesem Druck beigetragen hat, bleibt abzuklären. Gewiss wurden psychologische Ungeschicklichkeiten begangen, die die heutigen Anschuldigungen mitprovoziert haben. Wir hätten früher auf einen Dialog mit den Holocaust-Hinterbliebenen eintreten müssen.

Wie gehen die amerikanischen Kritiker mit dem Kriterium «Wahrheit» um?

Senator D'Amato und seine Mitarbeiter vertreten die Strategie, dass sie die Wahrheit entdecken, die wir Schweizer verstecken wollen. Beides ist falsch: Wir wollen die Wahrheit nicht verstecken, weil diese bereits bekannt ist.

Welche Auswirkungen haben D'Amatos Aktionen auf das Image der Schweiz in den USA?

Unser Land genoss in den USA bislang ein hohes Ansehen. Dieses Bild könnte in Zukunft leiden, je mehr Fragen uns gestellt werden und je länger die interessierten Kreise auf Antworten warten müssen.

Welche Reaktionen registrieren Sie auf offizieller Regierungsebene?

Mit unseren Gesprächspartnern im State Department haben wir einen permanenten Gedankenaustausch vereinbart. Als weiteren Schritt planen wir, die amerikanischen und schweizerischen Fachleute zusammenzubringen und der Sache auf den Grund zu gehen. Wir haben ein eminentes Interesse, dass die volle Wahrheit auf den Tisch kommt.

Stehen Sie in persönlichem Kontakt mit Senator D'Amato?

Ich bin bisher einmal mit seinen Mitarbeitern zusammengetroffen, habe mich aber vergeblich um ein Treffen mit ihm bemüht. Leider hat er überhaupt nicht reagiert. Wenn Herr D'Amato das Gespräch auch weiterhin verweigert, ist dies für mich ein Zeichen dafür, dass kein echtes Interesse an einem Dialog besteht.

Wie antworten Sie Kritikern, die behaupten, die Schweizer Bemühungen um eine historische Aufarbeitung seien unehrlich und könnten nicht ernst genommen werden?

Senator D'Amato hält uns für unglaubwürdig. Dies ist ein Hauptproblem. Wir glauben, einen Anspruch darauf zu haben, fair behandelt zu werden: Wir haben unseren Willen bekundet, die Unklarheiten aufzuarbeiten. Jetzt soll man uns diese Chance auch geben.

Was kann die Schweizer Regierung tun, um publizistisch angemessen und aktuell auf die Anschuldigungen zu reagieren?

Wir müssen ein klares Konzept erarbeiten und lernen, endlich alle am gleichen Strick zu ziehen. Bei der Umsetzung der neuen Informationspolitik sollten die Auslandsvertretungen und insbesondere die Botschaften in London und Washington einbezogen werden.

Welche Auswirkungen könnten die Dauervorwürfe aus dem «Büro D'Amato» im Inland zur Folge haben?

Es besteht Anlass zur Sorge, dass die Stimmung in der Schweiz beeinträchtigt wird. Ich hoffe persönlich, dass die Sache von allen Seiten mit dem nötigen Mass an Objektivität diskutiert und nicht mit Gegen-Emotionen auf Emotionen reagiert wird. Dies wäre insbesondere für die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz höchst unerfreulich.

Welche Dimension hat die Affäre um die Suche nach jüdischem Vermögen und das Nazi-Raubgold angenommen?

Was als privatrechtliche Auseinandersetzung zwischen Holocaust-Überlebenden und Schweizer Geschäftsbanken begann, hat sich zu einer zwischenstaatlichen Angelegenheit entwickelt. Wir müssen damit rechnen, dass uns die amerikanische Administration in Zukunft vermehrt auf die Problematik ansprechen wird.

Interview Peter Schibli, Washington

«Wir haben ein eminentes Interesse, das die volle Wahrheit auf den Tisch kommt.» Dies meint Carlo Jagmetti, US-Botschafter in Washington, zurzeit für die amerikanischen Medien ein begehrter Interviewpartner für Fragen zum Schicksal von Vermögenswerten jüdischer Holocaust-Opfer und zum Raubgold.

Zur Person

Washington. ps. Botschafter Carlo Jagmetti vertritt die Schweiz seit Mai 1993 in den Vereinigten Staaten. Der 64jährige Zürcher Jurist war 1962 in den diplomatischen Dienst eingetreten. Nachdem er zunächst in den Hauptstädten Rom und London stationiert war, übernahm er später auch in Seoul, Brüssel und Paris Funktionen im diplomatischen Dienst.

In den siebziger Jahren amtierte der Zürcher Carlo Jagmetti als Chef der Delegationen bei den Efta-, Gatt- und Unctad-Verhandlungen. Von 1982 bis 1987 war er Schweizer Missionschef bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel, anschliessend wechselte er als Botschafter in die französische Hauptstadt Paris.

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