Montag, Dezember 11, 2006

US-Senator D'Amato: «Ein ermutigendes Zeichen»


Nach verschiedenen jüdischen Organisationen hält auch der amerikanische Senator Alfonse D'Amato einen Bankenboykott derzeit nicht für angebracht. Die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Holocaust-Opfer hält er für einen «Schritt in die richtige Richtung». Der US-Politiker antwortete auf Fragen von BaZ-Korrespondent Peter Schibli.

BaZ: Schweizer Bankiers und der Bundesrat haben sich vergangene Woche auf die Einrichtung eines Entschädigungsfonds zugunsten von Holocaust-Überlebenden geeinigt. Sind Sie befriedigt?

Senator Alfonse D'Amato: Die Erklärungen von Botschafter Thomas Borer und Vertretern der Grossbanken sind ein ermutigendes Zeichen und ein Schritt in die richtige Richtung. Sie vermitteln jenen Juden Hilfe und Hoffnung, die bisher glaubten, ihre Anstrengungen führten zu nichts.

Trotzdem: Wir müssen wachsam bleiben und die Details abwarten, speziell die Höhe des einzurichtenden Fonds. Auch sollten wir uns bewusst sein, dass dieser Fonds eine Interimslösung ist und keine endgültige Übereinkunft darstellt. Es ist mehr Arbeit zu tun, mehr zu erforschen. Wir haben bislang nur die Spitze des Eisberges entdeckt. Unsere Nachforschungen enthalten Hinweise, dass wir sehr viel mehr finden werden. Ich kann Ihnen versichern, dass wir die vielen Anhaltspunkte weiterverfolgen werden.

Bundesrat Delamuraz hat seine Äusserungen bedauert. Genügt das?

Was Bundesrat Delamuraz gesagt hat, war schlimm. Seine Aussagen, unsere Bitten um Fakten und um ein Ende der Obstruktionspolitik der Banken seien ein Komplott jüdischer Kreise gegen den Finanzplatz Schweiz, entbehren absolut jeder Grundlage, und ich bin enttäuscht, solche Worte von einem Mann seiner Statur zu hören. Inzwischen hat sich Bundesrat Delamuraz beim Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Edgar Bronfman, entschuldigt. Dies war nötig und richtig.

Jüdische Organisationen und Kläger haben den Schweizer Banken mit Boykott gedroht. Halten Sie dies für ein geeignetes Mittel zur Beilegung der Krise?

Im jetzigen Zeitpunkt unterstütze ich das Konzept eines Bankenboykotts nicht. Ein solcher Aufruf wäre verfrüht.

In den vergangenen Monaten haben Sie wiederholt Dokumente veröffentlicht und den Eindruck erweckt, die darin enthaltenen Informationen seien bis zur kürzlichen Deklassifizierung geheim gewesen. Sind Sie sich bewusst, dass viele der Vorgänge seit Jahrzehnten bekannt waren und in der Schweizer Presse sowie in der historischen Literatur diskutiert wurden?

Die von uns veröffentlichten Dokumente stammen aus dem Nationalen Archiv der USA und enthalten einige sehr beunruhigende Dinge. Die Tatsache, dass Details aus den Dokumenten in der Schweiz bekannt waren, ist nicht der springende Punkt. Im Gegenteil: Wenn diese Vorgänge, wie beispielsweise die beiden Entschädigungsabkommen mit Polen und Ungarn, in der Schweiz bereits bekannt waren: Warum hat denn niemand versucht, die brennenden Fragen zu klären?

Warum wurde die Liste der konfiszierten Konten ausländischer Anleger nie an das «Ursprungsland» (in diesem Fall an Polen) weitergeleitet? Wenn die Goldtransporte von Wissenschaftern untersucht wurden: Warum wurden sie nie vollständig aufgeklärt? Warum hat weniger als 24 Stunden nach meiner Erklärung, es seien nach dem Krieg 280 Lastwagen mit Raubgold nach Spanien und Portugal gefahren, ein Vertreter der Schweizer Nationalbank meine Zahlen als übertrieben bezeichnet, aber gleichzeitig eingestanden, es seien siebzig Lastwagenladungen gewesen?

Auf mich wirkt diese Reaktion wie das Verhalten eines Massenmörders, der beschuldigt wird, zehn Menschen umgebracht zu haben, und zu seiner Verteidigung behauptet, er habe «nur» drei getötet. Tatsache ist doch: Der Massenmörder ist schuldig. Übertragen auf die Nationalbank bedeutet dies: Die Schweizer Staatsbank hat während des Krieges Goldtransporte für die Nazis durchgeführt. Das war Unrecht, unabhängig davon, ob es nun siebzig oder 280 Lastenwagen waren.

Viele Ihrer Dokumente beruhen auf Geheimdienstinformationen. Kann man Spionen so ohne weiteres glauben?

Wenn die von uns gefundenen Dokumente unzutreffend sind: Warum werden denn die Vorwürfe direkt nach unserer Veröffentlichung schnell zugegeben? Es handelt sich hier um ein ernstes Problem: Zuerst bestreiten die Schweizer Banken und die Schweizer Regierung alles. Dann, wenn sie mit Beweisen konfrontiert werden, gestehen sie ihr Fehlverhalten teilweise oder insgesamt ein. Was gibt es sonst noch, was wir nicht wissen, was wir noch nicht gefunden haben, was wir erst noch begreifen müssen?

Was treibt Sie an? Weshalb haben Sie die aufwendigen Nachforschungen im Nationalen Archiv veranlasst?

Meine Motive für die Untersuchungen sind einfach: Ich will der Wahrheit auf den Grund gehen. Ich will die Fakten finden. Ich will das 50jährige Mauern der Schweizer Banken beenden. Viele Holocaust-Überlebende haben ihre Ansprüche angemeldet. Bis vor kurzem hatten sie ihre Hoffnung aufgegeben. Jetzt erleben sie plötzlich, dass die Schweiz und die Banken der Welt in die Augen schauen müssen: Die Welt will wissen, was damals in der Schweiz geschah und wo all das jüdische Geld und das Gold verschwand.

Setzen Sie sich für Holocaust-Überlebende ein, weil jüdische Wählerinnen und Wähler in New York ein wichtiger Faktor sind und weil Sie 1998 als Senator wiedergewählt werden möchten? Ist dieser Eindruck falsch?

Menschen aus meinem Bundesstaat haben mich um Unterstützung gebeten, und ich beabsichtige, ihnen zu helfen. Es wäre nachlässig von mir, dies nicht zu tun.

Wie würden Sie die schweizerisch-amerikanischen Beziehungen beschreiben? Was ist nötig, um die bestehende Freundschaft zu bewahren?

Das Verhältnis zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika hat eine lange Tradition und ist produktiv. Doch derzeit trübt nach meiner Meinung das Problem mit den Banken und deren Weigerung, nachrichtenlose Vermögen herauszugeben, die Beziehungen entscheidend. Die Kläger, die die Rückgabe von Vermögenswerten verlangen, sind zum allergrössten Teil amerikanische Staatsbürger. Wenn sich Schweizer Banken weigern, diese Gelder herauszugeben, betrifft dies Menschen, die dann ihre gewählten Parlamentarier um Hilfe bitten. Was die Bewahrung der guten Freundschaft zwischen der Schweiz und den USA betrifft, antworte ich kurz und bündig: Voraussetzung dafür ist die Wahrheit.

Vertrauen Sie heute der Schweizer Regierung, den Banken?

Vertrauen ist ein Problem. Die Schweizer Regierung und die Banken haben bisher nur gerade soviel zugegeben, wie wir ihnen handfest beweisen konnten. Würden sie von sich aus Unachtsamkeiten und illegales Verhalten zugeben, wie wir es durch unsere Nachforschungen an den Tag gebracht haben? Ich bezweifle es. Nach fünfzigjährigem Mauern und Ausflüchten ist es an der Zeit, dass wir die volle Wahrheit erfahren und die Tatsachen enthüllen. Die Erben von Holocaust-Opfern und die Überlebenden verdienen Gerechtigkeit und Würde. Während ihres fünfzigjährigen Kontakts mit der Schweizer Regierung und den Banken blieb ihnen beides verwehrt. Nun ist die Zeit gekommen.
In der Schweiz besteht der Eindruck: Was auch immer bei den bevorstehenden Untersuchungen herauskommt - Sie und der Jüdische Weltkongress werden die Ergebnisse niemals akzeptieren. Wie antworten Sie darauf?

Ich kann nur wiederholen: Ich und viele andere wollen die Wahrheit hören. Wir hoffen, dass das Schweizervolk, das ich sehr respektiere, dasselbe will. Lassen wir uns überraschen.
Wie reagiert die Schweizer Bevölkerung aus Ihrer Sicht auf den Druck aus den USA, auf Ihre Anschuldigungen?

Ich bin sehr besorgt darüber, dass das Schweizervolk ein Jahr mit verheerenden Enthüllungen über sich ergehen lassen musste. Ich kann verstehen, dass das weitere Vorgehen der Regierung von der Bevölkerung genau beobachtet wird. Die Schweiz hat eine reiche Tradition und eine reiche Geschichte. Es ist eine Schande, dass das Verhalten der Schweizer Bankiers, zumindest in den letzten fünfzig Jahren, diese Tradition beschmutzt hat.

Welche Auswirkungen hat der bereits erschienene erste Historikerbericht über das Polen-Abkommen auf Ihre Arbeit?

Unsere Ermittlungen konzentrieren sich auf das Verhalten einer Nation, zuerst unter den erschwerten Bedingungen des Zweiten Weltkrieges und dann unter dem Eindruck der Nachkriegszeit. Der Bericht der beiden Historiker Peter Hug und Marc Perrenoud ist eine faszinierende Auflistung von Handlungen von Schweizer Bankiers. Er beweist, dass Holocaust-Überlebende und deren Nachkommen hochmütig oder herzlos behandelt wurden. Der Bericht zeigt aber auch, dass die Schweizer Bankiers einen grossen Einfluss auf die Bankengesetzgebung und auf die Umsetzung der Erlasse hatten. Wenn diesen ein Tatbestand gefiel, dann reflektierte das Gesetz entsprechende Genugtuung. War dies nicht der Fall, wurde es geändert. Dies ist eine traurige Erkenntnis.

Interview Peter Schibli
«Wir müssen wachsam bleiben und die Details abwarten, speziell die Höhe des einzurichtenden Fonds.»

«Was gibt es sonst noch, was wir nicht wissen, was wir noch nicht gefunden haben, was wir erst noch begreifen müssen?»

Washington. ps. Senator Alfonse D'Amato (59) gehört dem US-Kongress seit 1981 an. Der Republikaner vertritt den Bundesstaat New York. Der Nachkomme italienischer Einwanderer ist Vorsitzender des Bankenausschusses des Senats und hat in dieser Funktion die «Whitewater»-Untersuchungen gegen die Präsidentenfamilie vorangetrieben.

1998 steht D'Amato zur Wiederwahl an. Laut Umfragen der Kongress-Zeitung «Roll Call» befindet sich seine Popularität in New York derzeit auf einem Tiefststand. Beobachter haben darauf hingewiesen, dass der mächtige Senator in den letzten Monaten mehrere populistische Aktionen gestartet hat, um seine Wiederwahl abzusichern. So hat er sich kürzlich mit seinem einstigen Erzfeind, dem republikanischen Bürgermeister von New York, Rudolph Giuliani, versöhnt.

US-Medien: Kritisch, aber fair

Washington. ps. Seit Beginn des neuen Jahres berichten die tonangebenden US-Medien kritisch, aber fair über die Auseinandersetzung um jüdische Vermögen und Raubgold in der Schweiz. Neue «Enthüllungen» aus dem «Büro D'Amato» sowie Behauptungen jüdischer Organisationen werden nicht mehr, wie zu Beginn der Krise, unwidersprochen abgedruckt, sondern durch Stellungnahmen von Schweizer Bankiers und Diplomaten ergänzt. Die Bereitschaft zur Einrichtung eines Entschädigungsfonds wurde sehr positiv aufgenommen.

Die journalistische Grundregel, auch die «andere Seite» zu Wort kommen zu lassen, hat eine automatische Relativierung neuer Vorwürfe bewirkt und dazu geführt, dass die im letzten Jahr noch sensationell aufgemachten Frontberichte nun im Inneren der Zeitungen in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden.

Der Grundtenor in der veröffentlichten Meinung entspricht in etwa der Position des State Department: Bewiesen ist nichts, aber die Schweiz tut gut daran, die eingeleiteten Untersuchungen zügig voranzutreiben und rasch Ergebnisse zu präsentieren. In diesem Sinne haben die meisten Zeitungen auf die von einem Zürcher Wachmann verhinderte Vernichtung von Unterlagen bei der Schweizerischen Bankgesellschaft reagiert.

Die peinlichen Interview-Äusserungen von Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz waren in den beiden nationalen Ostküsten-Zeitungen «New York Times» und «Washington Post» lediglich durch Agenturmeldungen abgedeckt worden. Zur Berichterstattung über die Einrichtung eines Holocaust-Fonds und zur Beschreibung des «nationalen Stimmungswandels» wurden dann allerdings eigene Reporter in die Schweiz entsandt.

Schmerzhaft, aber heilsam

In seinen Analysen räumt Alan Cowell, angereister Bonner Korrespondent der «New York Times», den innerschweizerischen Vorgängen, den Pannen und Strategieüberlegungen grossen Raum ein: Nach seiner Einschätzung zeigt das Umdenken bei den Banken und im Bundesrat, «dass eine politische Geste nötig war, um eine Krise zu entschärfen, die die Schweizer Bankenindustrie und die Wirtschaft insgesamt schwer hätte treffen können».

Positiv sieht auch die «Washington Post» die jüngsten Entwicklungen: In einem Kommentar stellte die Zeitung kürzlich fest, dass die Bewältigung der Vergangenheit für die Schweiz zwar schmerzhaft, aber durchaus heilsam sei: «In einem Land, dessen wichtigster Wirtschaftszweig, die Bankenindustrie, auf dem Vertrauensprinzip basiert, berühren die aufgeworfenen Fragen den nationalen Kern. Indem sie sich in- und ausländischen Ermittlern öffnet, definiert sich die Schweiz selbst.»

Verwiesen wird in diesem Zusammhang auch auf den wiederbelebten Antisemitismus. In der «Post» wurde kürzlich Avraham Burg, Präsident der Jewish Agency, zitiert. Gefragt nach den hässlichen Drohungen gegen seine Person, zeigte sich Burg besorgt, «dass das, was wir tun, einen sehr gefährlichen Bären geweckt hat».

Die Rolle der Neutralen

In einem Hintergrundbericht hat am Wochenende die «New York Times» die schwierige Stellung der neutralen Staaten (Schweden, Portugal und Schweiz) während des Zweiten Weltkriegs beleuchtet. Mehrfach wird in dem Artikel betont, dass das Überleben, das Verschontbleiben von kriegerischen Wirren, für die damalige Schweiz höchste Priorität genoss.

Das historische Essay stellt fest, Neutralität sei dann relativ, wenn ein neutraler Staat von einer Grossmacht umzingelt sei, und schliesst mit einer selbstkritischen Bemerkung. «Unsere Vision von Neutralität zu Zeiten eines Kriegs war eine Illusion . (…) Die neutralen Länder waren nicht perfekt, aber vielleicht waren wir selber weniger perfekt, als wir bisher geglaubt haben.»

«Meine Motive für die Untersuchungen sind einfach: Ich will der Wahrheit auf den Grund gehen. Ich will die Fakten finden. Ich will das 50jährige Mauern der Schweizer Banken beenden.» So US-Senator Alfonse D'Amato im Exklusivinterview mit der Basler Zeitung. (1996)

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