Sonntag, März 23, 2008

In memoria: Jack Weil, Denver

In Denver ist am 22. Januar 2008 Jack Weil, der Pionier der Cowboy-Kleidung, 106jährig gestorben. Ich hatte das Glück, Papa Jack 1999 persönlich kennen zu lernen. Bei einem Besuch in Denver zeigte er mir sein Lebenswerk, lud mich zum Mittagessen ein und beeindruckte mich sehr. Aus Anlass des Todes hier noch einmal mein Artikel von damals, sowie einige Links:

Radio-Bericht über Jack Weil (Atlas, DRS 2)

Sein Vater wanderte 1871 von Mülhausen (Elsass) nach Übersee aus. Er selber kam 1929 nach Denver im US-Bundesstaat Colorado, wo er ein Geschäft für Cowboy-Kleider aufbaute. In ganz Amerika gilt Jack A. Weil als Pionier in der Western-Branche.

Im Downtown-Bezirk «Dow Low» in Denver, zwischen heruntergekommenen Lagerhäusern und renovierten Hotels, befindet sich seit einem halben Jahrhundert die «Rockmount Ranch Wear Manufacturing Company». Hinter einem Schaufenster mit antiken Wagenrädern, einem Dreschflegel und einem Sattel arbeiten drei Generationen: Jack A. Weil (98), Jack B. Weil (70) sowie Steve Weil (41) vertreiben Cowboy-Accessoires an Boutiquen und Spezialgeschäfte in aller Welt.

Gegründet wurde die Firma 1947 von Jack A. Weil, der 1929 als Verkäufer von Strumpfhaltern und Socken nach Colorado gekommen war. Über einen Bekannten, dessen Hutladen schlecht lief, stieg er ins «Cowboy-Business» ein. «Ich verliebte mich in die wilde Gegend, und das Geschäft mit der Cowboy-Mode wurde zu einer lebenslänglichen Romanze», erzählt der rüstige Rentner.

Die Familiengeschichte erinnert an die typisch amerikanische Bilderbuchkarriere «Vom Tellerwäscher zum Millionär»: 1871, nachdem die Deutschen das Elsass überrannt hatten, floh Weils Vater auf einem Schiff in die Vereinigten Staaten. Auf der Zugfahrt zu einem Onkel in Indiana musste der Einwanderer vor Räubern fliehen. Ohne Hab und Gut kam er im Mittleren Westen an und baute sich dort eine Existenz als Viehhändler auf.

Hit für Rodeo-Zuschauer

Jack A. Weil wurde 1901 in Evansville (Indiana) geboren. Während er als Hutverkäufer quer durch die Rocky Mountains reiste, kam ihm die Idee, Zuschauer auf Rodeo-Veranstaltungen mit Cowboy-Kleidern auszurüsten. Da bei den «Kuhhirten» selber nichts zu verdienen war, konzentrierte er sich auf Rodeo-Shows. Die Attraktion zog schon damals viele Besucherinnen und Besucher an.

Im Kino studierte der junge Unternehmer die Cowboy-Mode. Nach diesen Vorbildern entwarf er Hemden mit Ornamenten, Hüte mit breitem Rand, Gürtelschnallen und Bolo-Ties («Cowboy-Krawatten»). Jack A. Weil gilt als Erfinder des «Druckknopfhemdes». In eigenen Fabriken liess er die Ware produzieren. Farbige Poster an den Wänden seines Schauraumes erinnern an die ersten Kataloge.

Heute besitzt das Unternehmen drei Fabriken, eine davon im Bundesstaat Kentucky. «Auch ich bin gezwungen, da zu produzieren, wo die Löhne tief sind», sagt Weil. Ingesamt beschäftigt er 250 Angestellte. Beliefert werden 3500 Einzelhändler und Boutiquen in allen 50 US-Bundesstaaten. Grossverteiler mag er nicht. «Die drücken meine Preise und wollen nur Billigware. Ich liefere Qualitätsprodukte», erklärt er. Zehn Prozent der Produktion gehen in den Export, mehrheitlich nach Europa, Asien und Australien. In der Schweiz hat Weil 20 Kunden, darunter mehrere bekannte Boutiqen.

«Bonanza» ausgerüstet

Drei bis fünf Prozent der US-Bürger tragen regelmässig «Western Wear». Neben Mr. und Mrs. Amerika gehören viele Prominente aus der Film- und Musikwelt zu Weils Kunden. Die gesamte Cartwright-Familie aus der TV-Serie «Bonanza» hat er mit Hüten aus seiner Produktion ausgerüstet. Der Filmstar Tom Selleck (Magnum) tritt in Weils Hemden auf. Der Rockstar Bruce Springsteen liebt Weils Bolo-Ties. Auf ein Western-Foto für Fans kritzelte der Schauspieler Tony Curtis eigenhändig: «Nun sehe ich wie ein Cowboy aus.»

Auch zu Politikern pflegt die Weil-Familie rege Kontakte: Sohn Jack B. ist Sekretär der Republikanischen Partei Colorados und kennt den Präsidentschaftskandidaten George W. Bush Jr. persönlich. Senior Jack A. hat ein Foto mit dem Autogramm Ronald Reagans: Als sich dieser als Gouverneur Kaliforniens einmal beklagte, die USA entwickelten sich zum Dienstleistungsstaat, widersprach ihm Weil schriftlich und erhielt prompt ein Erinnerungsfoto zugeschickt.

Unvergessen ist auch folgende Episode: Auf dem Gipfel der sieben wichtigsten Industriestaaten 1997 in Denver stattete Weils Firma alle teilnehmenden Staats- und Regierungschefs mit Cowboy-Hüten und -stiefeln aus. Der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl weigerte sich als Einziger, zum Spass in die Western-Kleidung zu schlüpfen. Der Senior-Chef trug die Absage mit Fassung und lacht heute darüber.


Clevere Ideen


Das Erzählen von Anekdoten aus früheren Zeiten gehört zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Weils Langzeitgedächtnis ist erstaunlich gut: Die «Union Paific Railroad» habe er in den vierziger Jahren davon überzeugt, in der Rodeo-Metropole Cheyenne (Wyoming) einen Zwischenhalt einzulegen. Dies gab den Reisenden Gelegenheit, eine Rodeo-Veranstaltung zu besuchen, und Weil konnte seine Produkte verkaufen.

Mit Schmunzeln erzählt er, dass die Rodeo-Veranstalter einst in mehreren Bundesstaaten verlangten, dass die Zuschauer an Schaukämpfen Western-Kleidung tragen mussten. Wer gegen dieses Gebot verstiess, wurde vor Gericht gestellt und gebüsst. Dank dieser Vorschrift klingelten Weils Kassen.

«Gute Gene und Gottes Hilfe»

Pflichtbewusst fährt der zehnfache Urgrossvater trotz seines hohen Alters noch jeden Morgen um 7.30 Uhr mit dem eigenen Auto ins Geschäft. Nach dem Mittagessen werden Bonbons verteilt, bevor der 98-Jährige zur Bank fährt, um sich am Nachmittag für eine Stunde oder zwei aufs Ohr zu legen. «Dank guten Genen» und «mit Gottes Hilfe» sei er so alt geworden, philosophiert der Cowboy-Pionier mit Wurzeln im französischen Mülhausen.

ps/Basler Zeitung, 13.9.1999

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