Sonntag, Juni 17, 2007

Wenn es frischen Beton vom Himmel schneit....

baz hilft: Mit Leserspenden entsteht auf dem Heinzenberg hoch über dem bündnerischen Domleschg eine einfache Alphütte

Der 13. Juni 2007 war für Maria und Silvio Allemann ein Glückstag. Auf der Alp Parpeina, wo sie seit sieben Jahren Kühe, Rinder und einige Ziegen sömmern, wurde vorzwei Wochen der Grundstein für ihre neue Hütte gelegt. Nicht auf konventionelle Weise, sondern aus der Luft: Im Drei-Minutentakt flog ein Helikopter der Air Grischa elf Kubikmeter Beton und Kies herbei. Fünf Arbeiter zementierten während knapp drei Stunden das Fundament. In den Tagen zuvor war eine neue Wasserleitung gelegt und ein Fäkalientank vergraben worden.

Nach Ende der Alpsaison kann das Werk dann vollendet werden: Am 17. September wird derselbe Helikopter zwölf Tonnen Holz, Eternit für das Dach sowie die Fenster und Türen auf 1700 Meter hinauf fliegen. Diese ungewöhnliche Transportart wurde gewählt, weil keine befahrbare Strasse, sondern nur ein schmaler Pfad auf die Alp führt. Ein lokaler Zimmermann stellt noch im September die Alphütte fertig, wenn immer möglich vor dem Einwintern. Der Innenausbau erfolgt dann im Frühsommer 2008.
Erfolgreiche Weihnachtsaktion
Ermöglicht wird die Aktion durch Weihnachtsspenden der baz-Leserschaft: Während der Adventszeit 2006 hatte die Stiftung „baz hilft Not lindern“ dazu aufgerufen, für den Neubau im Domleschg zu spenden. Die Heinzenberg- Gemeinde Tschappina, der die Alp gehört, ist finanziell nicht in der Lage, die Baukosten für die Hütte allein zu tragen. Die Reparatur lecker Wasserleitungen im Dorf belasten das Gemeindebudget über Gebühr. Da für Neubauten auf Alpen in Graubünden keine kantonalen Subventionen ausgerichtet werden, suchten die Tschappiner Hilfe im Unterland.
Das Hirtenpaar ist für die zugesagte Unterstützung dankbar und über die fortgeschrittenen Bauarbeiten entzückt: "Die Arbeiter haben sich prächtig ins Zeug gelegt“, schwärmt Maria Allemann (62) beim Besuch der baz. Und Ehemann Silvio (68) staunte nicht schlecht, „wie schnell alles vor sich ging."
Menschenunwürdige Zustände
Das neue Zuhause ist dem betagten Hirtenehepaar von Herzen zu gönnen: Seit Jahren hausen sie in einem über hundertjährigen „Gehütt“ ohne Bad oder Toilette. Durch das Blechdach tropft der Regen auf die Wolldecken. Durch die Ritzen pfeift der Wind. Die Feuchtigkeit ist mit Händen zu greifen: An den Wänden breiten sich Schimmel und Pilz aus.
Auch das Mobiliar, ein Tisch, eine Bank, eine Küchenecke, ein Bettsofa sowie mehrere Tablare, wirken ärmlich. Ihre Morgen- und Abendtoilette erledigen die Allemanns am Brunnen vor der Tür. Gekocht wird auf einem einfachen Gasherd. Ein Holzofen verbreitet nur dann spärliche Wärme, wenn er tüchtig mit Scheitern geheizt wird. „Abends fällt die Temperatur sofort ab, wenn man nicht mehr feuert“, berichtet Silvio. Neunzig Tage Weidezeit sind unter diesen Verhältnissen ein menschenunwürdiger Zustand.
Gutgräsige Hochalp
Für die Gemeinde Tschappina und die beiden Pächter lohnt es sich, Vieh auf Parpeina zu sömmern. Nach Aussage des Landwirtschaftsberaters Otto Denoth vom Plantahof handelt sich sich bei den 80 Hektaren um eine gutgräsige Hochalp, die man „unbedingt erhalten sollte“. Alp- und Weidechef Oskar Rüedi, Mitglied des Gemeinderats von Tschappina, bringt zusätzlich das Argument der Landschaftspflege ins Spiel. „Wenn wir da oben nichts unternehmen, dann verwildern die Alpen und sind innert weniger Jahre nicht mehr zu gebrauchen“, erzählt er während des Aufstiegs. Der 64-Jährige hatte denn auch die Idee für den Neubau.




Die neue Holzhütte wird 6,5 auf 6,2 Meter messen. Die überdachte Fläche ist in zwei Räume unterteilt: Schlafen und Wohnen. Eingebaut wird auch ein einfaches Badezimmer mit WC und Dusche. Für den benötigten Strom werden Solarzellen auf dem Dach sorgen. Heisses Wasser liefert ein Gaserhitzer. Maria möchte ihren Gaskochherd zügeln, während Silvio darüber nachdenkt, seine Batterie, mit der er ein Radiogerät betreibt und sein Handy auflädt, zu erweitern. Die alte Hütte wird nicht abgerissen, sondern soll in Zukunft als Stall und Lagerraum genutzt werden.
Wilde Natur
Die Aussicht von Parpeina aus auf das gesamte Domleschg ist prächtig. In der Ferne sieht man die Häuser von Thusis. Etwas tiefer unten grüsst die Alphütte von Biobauer und Nationalrat Andrea Haemmerle (SP) in der Sonne.
Am Tag vor dem baz-Besucht hatte ein Adler ein Huhn gepackt und wollte es wegtragen. „Die restlichen Hühner schrien wie am Spiess. Darauf liess der Raubvogel seine Beute fallen“, erzählt Maria schmunzelnd und zeigt auf vier Murmeltiere, die sich nicht weit von der Hütte weg vor ihrem Bau sonnen. Die Tiere kennen die Gefahr vom Himmel und warnen mit ihren Pfiffen, wenn der Adler wieder seine Kreise zieht.
Die Allemanns leben mitten in der wilden Natur. Durch den Feldstecher sind an den Abhängen hinter der Hütte Hirsche und Steinböcke zu beobachten. Silvio kontrolliert fast täglich, ob Wild den gut sieben Kilometer langen Zaun niederissen hat. Eine Lücke könnte für die Rinder fatale Folgen haben: „Die Tiere würden einen Sturz ins Tobel oder über den Fels nicht überleben“, berichtet der Hirt. Der Verlust eines Tieres aber bedeutet für die Pächter eine schmerzhafte Einkommenseinbusse.


Am vergangenen Wochenende wurde die Gemeindeversammlung von Tschappina über die Spendenzusage aus Basel informiert. „Die Anwesenden haben gestaunt“, erläutert die Gemeindepräsidentin, Carmen Bühler gegenüber der baz. Der Baubeschluss erfolgte einstimmig. „Wir freuen uns alle sehr auf die neue Hütte und danken herzlich für die grosszügige Unterstützung aus der Nordwestschweiz“, ergänzt sie. (16.6.07, ps)

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