Mittwoch, Februar 03, 2010

Nackte Tatsachen immer populärer

Ob Doktorandin, Hausfrau, Verkäuferin, Sekretärin, Laborantin oder Dentalassistentin: Die Boulevard-Zeitung «Blick» wird mit Anfragen von Frauen überschwemmt, die sich halbnackt auf Seite 1 zeigen wollen. Warum eigentlich?

«Angesichts der sexualisierten Zeit, in der wir leben, ist der Erfolg der «Blick»-Girls nicht erstaunlich», sagt Dominique Grisard vom Zentrum für Gender Studies an der Universität Basel. «Das ist Teil eines Zeitphänomens: Sich sexy zu geben, bedeutet heute, selbstbewusst zu sein.» Der Körper werde, sowohl bei Männern als auch bei Frauen, vermehrt als Kapital eingesetzt. Sich offenherzig zu zeigen, sei eine Form der Selbstverwirklichung. «Die Blick-Girls wollen diese paar Sekunden Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit wird dabei oft mit Anerkennung verwechselt», so Grisard. Auch hätten sie womöglich das Gefühl von Macht. Früher waren freizügige Fotos ein Zeichen der Unterdrückung. Heute ist das gemäss Grisard anders. «Das Tabu ist nicht mehr, sich nackt ablichten zulassen. Tabu ist vielmehr, sich und anderen einzugestehen, dass man es nicht nur selbstbestimmt tut.» Immerzu sexy sein zu wollen, sei zu einer gesellschaftlichen Anforderung an Frauen geworden.

Ganz andere Worte findet die Psychologin und Feministin Julia Onken. Sie findet die erotischen Fotos nicht so unproblematisch: «Hier hat die patriarchale Gehirnwäsche ganze Arbeit geleistet», so Onken. Diese nämlich habe Frauen dazu gebracht, sich über die Bewirtschaftung von Weiblichkeit zu definieren. «Ganz nach dem Motto: Ich werde begehrt, also bin ich.» Die Frauen beschränkten sich darum auf die einfachste Möglichkeit, sich darzustellen. «Dahinter steht ein archaisches Bild: Früher galt es als die Aufgabe der Frau, sich erotisch zu präsentieren, um überhaupt wahrgenommen zu werden.»

Warum sich viele Frauen als «Blick»-Girl bewerben, kann Onken darum nicht verstehen. «Einige Frauen haben anscheinend immer noch nicht begriffen, dass das Kapital nicht im Körper, sondern im Hirn liegt.» Sie habe die Profile der «Blick»-Girls studiert, sagt Onken, und dabei sei ihr aufgefallen, dass die meisten von ihnen Wünsche äusserten, die andere für sie erfüllen müssen, etwa eine Villa oder eine Weltreise. «Offenbar gehen die Frauen nicht davon aus, dass sie diese Ziele selbst erreichen könnten», so Onken.

Ob modern oder archaisch: Der Trend, sich zu präsentieren, sei es auf der Seite 1 eines Boulevardblatts oder bei einer Castingshow, und den eigenen Augenblick der Aufmerksamkeit zu geniessen, scheint ungebrochen. (Tagesanzeiger)

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