Dienstag, Juli 28, 2009

Verrat


Wenn abends der Baustellenlärm an der Schlossstrasse verstummt, kann sich die Idylle des Parks vor dem Schloss Holligen vollends entfalten. Ohne Zweifel ist dies eine traumhafte Kulisse für ein Freilichttheater. Neben seiner einmaligen Atmosphäre ist das Schloss auch der Originalschauplatz eines Romans des Schweizer Volksdichters Jakob Frey. Die Erzählung «Die Waise von Holligen» diente als Vorlage für das Stück «Verrat – Das geheimnisvolle Läuten auf Schloss Holligen». Nach einem regnerischen Tag nahm am Dienstag die Uraufführung des Stücks im Licht der untergehenden Sonne ihren Anfang, und die Schlossfassade zeigte sich von ihrer schönsten Seite.

Stürmische Zeit

«Verrat – Das geheimnisvolle Läuten auf Schloss Holligen» spielt vor dem Hintergrund des Franzoseneinmarsches von 1798, in einer stürmischen Zeit des Umbruchs im alten Bern. Erzählt wird die Vision des Volks, das von der Gerechtigkeit für alle träumt, ohne Barrieren und Ungleichheiten zwischen Herrschaft und Unterschicht. Diese Träume unterscheiden sich jedoch von der gelebten Realität, in der Dienstmädchen die Kinder von adligen Junkern austragen, die Neugeborenen in «bessere» Obhut abgeben oder an Kindbettfieber sterben. Erzählt wird auch von der vornehmen Welt der Oberschicht, in der Intrigen zur Liebe gehören wie der Verrat zur Vaterlandsliebe.

Neben den Figuren aus Jakob Freys Roman hat der Berner Autor Markus Michel auch neue Gestalten in sein Stück eingeflochten. Etwa den philosophierenden Hausierer Jojo und seine resolute Gefährtin Minette, oder die «verschüpfte» Berti, die in den Kleidern ihres verstorbenen Mannes und mit einer ausgestopften Katze im Arm ums Schloss schleicht. Sie ist ein Opfer des Systems und wirkt wie ein Mahnmal der kleinen Leute, die durch Verrat und Herrschsucht der Oberschicht alles verloren haben – auch ihren Verstand. Daneben kommen mutige und schlagfertige Dienstmägde vor, die notfalls auch ihre Reize einzusetzen wissen.

Ruhelose Seele

Die Inszenierung des Berner Regisseurs Kurt Frauchiger entführt das Publikum ins 18.Jahrhundert. Eine unberechenbare Pferdekutsche, Herumziehende, die Salben und Kupfergeschirr verkaufen, historische Kostüme (Eveline Rinaldi) und das immer wiederkehrende Glockengebimmel, das die Schlossbewohner an die Sage einer ruhelosen Seele erinnert, lassen die Gegenwart in Vergessenheit geraten. Abgerundet werden die Szenen durch musikalische Zwischenspiele. Die Komponistin Barbara Jost liess sich von Franz Schubert inspirieren und arrangierte Melodien, in denen unter anderem eine singende Säge als Gespenst durch das Schloss spukt.

«Verräter-Menü»

Das Stück fasziniert auch durch das alte Bärndütsch, in dem mit «Chlütter» bezahlt oder die Zeit auf einer «Guggerzyt» abgelesen wird und der französische Einfluss sich in der Sprache der Patrizier spiegelt. Das fast 40-köpfige, engagierte Amateurensemble wird durch viele freiwillige Helfer im Hintergrund unterstützt. Initiant des Projekts ist der Holligen-Fischermätteli-Leist. Vor den Vorstellungen kann man sich kulinarisch mit einem «Verräter-Menü», einem «Landsturmbrot» oder mit Pommes frites alias «Härdöpfu-Stängeli» auf das 18.Jahrhundert einstimmen.

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