Freitag, Juli 24, 2009

Aida in Bregenz - Festspiele 2009

Seit rund einem Vierteljahrhundert schafft sich das „Spiel auf dem See“ bei den Bregenzer Festspielen seine eigenen Gesetze. Jerome Savary war der erste, der mit „Zauberflöte“ und „Carmen“ neue Opernfantasiewelten erfand, dann baute David Pountney als Regisseur das Spektaktel mächtig aus. Aber selbst in den monumentalsten Bildfindungen blieb der Fokus der jeweiligen Oper erhalten, schuf die Bühne eine zwar gewaltige, doch immer klare Perspektive.

Wer nach mehreren Jahren Bregenz-Abstinenz nun zur „Aida“-Premiere am Mittwoch wieder kam, staunt nicht schlecht: Das „Spiel auf dem See“, wie es Regisseur Graham Vick, Bühnen- und Kostümbildner Paul Brown und Choreograf Ron Howell verstehen, ist ein High-Tech-Unternehmen geworden. Zu Land (in den Gängen der Zuschauertribüne), zu Wasser (auf Schiffen und versenkbaren Plattformen) und in der Luft (an zwei Kränen, die Dekorteile bewegen, Stuntgirls und am Ende das Totenboot mit Aida und Radames in schwindelerregende Höhen hieven) ereignet sich eine Opernshow, die von Verdi kaum etwas erahnen lässt.

Der Regisseur hat schon eine Idee: Zwei riesige, blaue, sternbesprenkelte Füße auf einer Treppenpyramide symbolisieren Ruinen einer untergehenden Kultur. Die ägyptischen Machthaber knechten mit unerbittlicher Hand Sklaven und Gefangene, deren Kapuzen wohl jeder sofort mit den Häftlingen von Guantanamo identifiziert. Die Priesterkaste – popanzhafte Bischöfe im doppelten Dutzend – ist das starre, gefühlstote Zentrum eines unmenschlichen Systems. Der Feldherr Radames: zerrissen zwischen Liebe, Pflicht und Ruhm; die Königstochter Amneris: rasend aus Geltungsdrang und Eifersucht; die Sklavin Aida: eine Putzfrau, die sich Stolz und Menschenwürde zu bewahren versucht.

Das ist auch der Kern von Verdis Musikdrama. Im gigantisch erweiterten Freiluftraum schrumpft es leider zur Marginalie – eine Randerscheinung rechts im Vordergrund, wo der 3. Akt, der Kern der menschlichen Konflikte ausgetragen wird. Und selbst da muss das Spektakel bedient werden: Amonasro, Aidas Vater, gefangener äthiopischer König, belauscht das geheime Liebes-Intrigen-Duett im Ölzeug unter Wasser, das ihm buchstäblich minutenlang bis zum Hals steht.

Natürlich geraten die Auf- und Triumphmärsche zum bombastischen Repräsentationskitsch, hohl, leer und falsch glänzend. Radames kehrt als Sieger heim auf einem kupfernen Elefanten, zuvor haben sich aus den Fluten die Fackel (22 Meter hoch) und der geborstene, von den Kränen zusammengesetzte Kopf der Freiheitsstatute erhoben. Das Ballett – heimkehrende Krieger treffen auf ihre Mädchen und Frauen – wird zu einer Plantscherei im Bodensee-Nil. Da ist ja die Arena die Verona das reinste Trockendock.

Für unzählige pittoreske Einfälle verraten Regisseur und Ausstatter aber schließlich nicht nur die Idee, sondern auch ein Charakterbild des Werks.

Und schlimmer noch: Sie pervertieren mit der erschlagenen Fülle ihrer Einfälle auch die Kunst-Möglichkeiten der Seebühne. „Maskenball“ oder „La Boheme“ haben nämlich gezeigt, dass man diese Möglichkeiten durchaus operngerecht und perspektivenerweiternd einsetzen kann. „Aida“ indessen wird zum bloßen Spielzeug des Noch-Aufwändigeren, ein letztlich selbstverliebt gigantischer Zirkus.

Die Musik rettet nichts. Zwar sind die Grundzüge der Melodien erkennbar und identifizierbar. Aber der Sound klingt diesmal scheppernd wie aus einer Blechbüchse. Der Dirigent Carlo Rizzi ist ohnehin mehr ein Mann fürs Grobe, und so klingen auch die Wiener Symphoniker vornehmlich laut, grob und vulgär. Die Sänger sind oft erbarmenswerte Mi krofonstimmen; da hat man, auch technisch, aus Bregenz viel besseres in Erinnerung.

Achtbar und nach Maßen eigenständig, zum Teil sogar anrührend, zogen sich in der Premiere Tatiana Serjan als Aida und Iain Paterson als Amonasro aus der Affäre. Iano Tamar als Amneris rast und wütet immer mit höchster Kraft, Rubens Pelizzari ist ein steifer Held Radames, der ihn einige tenorale Anstrengung kostet.

Aber schließlich ist wohl wichtig, dass er, die anderen und alle Alternativbesetzungen bis 23. August wasserfest und schwindelfrei sind. Das gilt auch für die Heerscharen an Statisten und Chören, so sie mitspielen in diesem Nil-Cinemascopefilm, der eigentlich eine Oper namens „Aida“ ist.

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