Montag, Januar 08, 2007

Der tägliche Kampf gegen die Müllflut


Basel möchte die sauberste Stadt der Schweiz sein. Wie steht es mit diesem Anspruch in der Realität? Was wird auf Strassen und in öffentlichen Kübeln deponiert? baz-Redaktor Peter Schibli begleitete am Osterdienstag Mitarbeitende der Stadtreinigung, leerte Container, Abfalleimer und putzte das Rheinufer.

Es ist 3.45 Uhr. Im Depot am Riehenring 3 gehen die Lichter an. Während Normalsterbliche noch schlafen, stellen die Mitarbeiter der Stadtreinigung Fahrzeuge auf den Hof und verladen Behälter. Der Vorarbeiter geht die Tagesliste mit den Mitarbeitenden durch. Für mich liegen saubere Handschuhe, eine orange Sicherheitsweste und ein Dreikant-Schlüssel bereit. Um 3.55 Uhr fragt Franco Viterale: «Bist du bereit? Gehen wir?»

Der 44-Jährige arbeitet seit 16 Jahren beim Baudepartement. Vor acht Jahren hat er zur Stadtreinigung gewechselt. Ich klettere auf den Beifahrersitz seines Lasters. Gemeinsam fahren wir auf den Barfi. An der Ecke zum Stadtcasino beginnen wir mit dem Leeren der Behälter: Die sieben blauen Grosscontainer sind je rund zur Hälfte mit Glasflaschen, Bierbüchsen, Pizza-schachteln und Kleinmüll gefüllt. Mit Hilfe der Hydraulik ziehen wir die Container hoch und kippen den Inhalt in den Transporter. Unterdessen spritzt ein Schwemmwagen die Strasse ab.

Durch die Freie Strasse geht es hinunter auf den Marktplatz. Franco übergibt mir eine Rolltonne und demonstriert, wie ich mit dem «Dreikant» die «Expo-Eimer» öffne. Mein Job ist es, den Inhalt der 15 Kübel zwischen «Brillen Fielmann» und «Interdiscount» zu leeren. Speisereste, verschimmeltes Brot, Zeitungen, Plastikbecher, zerdrückte Pet-Flaschen und zugeklebte Kinderwindeln verschwinden in der Tonne. Je mehr sich diese füllt, desto penetranter stinkt es.

HAUSKEHRICHT. Jenseits der Mittleren Brücke sticht mir um 5.30 Uhr der Geruch des ersten Sacks mit Hauskehricht in die Nase. Igitt! Da hat jemand die Bebbi-Sackgebühr gespart und seinen Hausrat in einem öffentlichen Abfalleimer entsorgt. «Einige wenige benehmen sich wie menschliche Schweine und sorgen dafür, dass wir sehr viel mehr Arbeit haben als nötig», bemerkt Franco. Hauskehricht öffentlich zu entsorgen ist verboten. Ein «Güselpolizist» sammelt Spuren und knöpft sich die übelsten Verursacher vor. In krassen Fällen wird gebüsst.

Auf dem Claraplatz steckt in einem Mülleimer ein kaputter Schirm mit Europa-Logo. Den könnte ich jetzt gebrauchen, denn es beginnt zu regnen. Durch die Clarastrasse stossen wir Richtung Messeplatz vor. Dort befinden sich die letzten «Nachtvögel» auf dem Heimweg. Lallende Alkoholiker, frierende Obdachlose und verwelkte «Damen der Nacht» sind unterwegs. Das erste Tram kreuzt unseren Weg. Eine Wischmaschine putzt das Trottoir.

FRÜHSTÜCK. Um 6.45 Uhr, nachdem wir die Kübel vor dem Badischen Bahnhof, entlang der Feldbergstrasse und auf dem Wettsteinplatz geleert haben, machen wir im Depot unter der Wettsteinbrücke Pause. Am Tisch sitzt Nicola D’Alessandro vor einem Brot, einem Cervelat und einem Glas Rotwein. Genau wie Franco stammt auch er aus Italien. Warum vor allem Ausländer und fast keine Schweizer bei der Stadtreinigung arbeiten, will ich von ihm wissen. «Weiss nicht. Vielleicht, weil es Drecksarbeit oder weil der Job zu wenig interessant ist», meint der 59-Jährige diplomatisch.

Noch ist die Stadt nicht super-dreckig. Im Sommer aber, nach warmen Nächten mit feucht-fröhlichen Partys und üppigen Feten, türmt sich in der Innerstadt der Müll. Vor allem am Rheinufer zwischen Solitude und Kaserne sind die Container dann übervoll. Entsprechend sieht es auch auf den Gehwegen und auf den Rheinstufen aus. «Letzten Samstag kippten unbekannte Dummköpfe den Inhalt von vier Containern auf die Treppenstufen bei der Löwen-Fähre», erzählt Nicola hörbar angewidert. Das Aufputzen hat ihm tüchtig gestunken.

DROHUNGEN. Ob er Passanten mahne, wenn er sie beim illegalen Müllentsorgen beobachte, will ich wissen. «Das mache ich nicht mehr. Ich will doch nicht Krach. Einmal hat mir einer gedroht und gesagt, er zahle hier Steuern. Ich soll gefälligst schweigen ... und arbeiten ...» erzählt Nicola, während er Plastiksäcke, Styroporschachteln, alte Schuhe, nasse Zeitschriften und einen Sack mit Hygieneprodukten aus einem Container holt. Den Kleinmüll wischt er mit dem Besen zusammen.

Um 8.30 Uhr wechsle ich ins Horburgquartier. Im Depot an der Hammerstrasse erwartet mich Vorarbeiter Norbert Sommerhalder. Der Elsässer putzt zusammen mit sechs Mitarbeitenden das Dreirosenquartier. In seinem Elektrofahrzeug fahren wir kreuz und quer durch die Seitenstrassen. Auf dem Hammerplatz treffen wir auf eine wilde Deponie: Rund um einen Abfalleimer haben Anwohner mit Hausmüll gefüllte Plastiksäcke, alte Möbelstücke und einen defekten PC-Monitor gestapelt. 70 Prozent des in den Aussenquartieren gesammelten Abfalls sei Hausmüll, kommentiert der 42-Jährige.

VIDEOÜBERWACHUNG. An der Ecke Bärenfelserstrasse/Oetlingerstrasse hat sich die Situation leicht gebessert, seit Anwohner an einer Hauswand eine Videokamera installierten. Das «elektronische Auge» wirkt abschreckend. Trotzdem finde ich im Kübel verdorbene Teigwaren, Altpapier, Wodka-Flaschen und eine Bussenquittung aus Lörrach, mit markierter BS-Nummer notabene. Auch hier bestätigt eine Anwohnerin, dass «einige wenige Abfallsünder den vielen Ordnungsliebenden im Quartier den Appetit verderben».

Würden mehr Kübel und Container die Situation nicht entspannen?, frage ich Bernhard Güntert, Leiter des Innerstadtkreises. «Mehr Kübel würden mehr Abfall anziehen», meint er lakonisch und ergänzt: «Das Deponieren von Hauskehricht ist kein Problem der Kübelkapazität, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem.» Es könne nur durch Erziehung und eine harte Linie gelöst werden. Herr Güntert hat Recht: Solange jeden Morgen die öffentlichen Abfalleimer mit Hauskehricht überquellen, ist es schwer, an den Mythos der «saubersten Stadt» zu glauben.

>www.baz.ch/go/abfall


5000 Tonnen Abfälle und 884 Mülleimer

STATISTIK.
Rund 1000 Mitarbeitende der Stadtreinigung befreien im Zweischichtenbetrieb die Basler Innerstadt (7 Tage/Woche, 489 Abfallkübel) sowie die Aussenquartiere (5 Tage/Woche, 395 Abfallkübel) von ca. 5000 Tonnen Müll/Jahr.

Wie kann das Volumen des Hauskehrichts wirksam reduziert werden?

>Brauchbare Sachen im Brockenhaus abgeben. Kleider in die Kleidersammlung.

>Zeitungen sowie Karton getrennt sammeln und der Papierabfuhr zuführen.

>Glas in den Glascontainer, Metall in die Metallabfuhr, Alu in spezielle Container.

>Grobsperrgut wie Möbel mit entsprechender Marke in die Grobsperrgutabfuhr.

>Grüngut, Gartenabfälle, Baumschnitt etc. in den Grüngut-Container.

>Elektronisches Material, Computer, TV und Batterien zurück ins Fachgeschäft.

>Pet-Flaschen und Milchpackungen in die separaten Sammelstellen. ps

>«richtig Entsorgen», Sauberbuch des Baudepartements: www.stadtreinigung-bs.ch

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