Sonntag, Januar 21, 2007

Geschäftsmann Michael Schumacher

Dank seiner Überlegenheit in der Formel 1 sorgt Michael Schumacher derzeit fast täglich für Schlagzeilen. Selbstverständlich hat der Superstar nichts dagegen einzuwenden, wenn die Medien über ihn berichten. Denn Erfolge ziehen Sponsoren an und lassen das Einkommen wachsen.

Der 35-Jährige hat aber sehr wohl etwas dagegen, wenn die Presse über seine Familie berichtet - insbesondere, wenn seine Kinder Gina Maria und Mick abgebildet werden. Anfang Juni erhielt die Basler Zeitung Post einer Frankfurter Anwaltskanzlei. In dem Schreiben verbietet das Ehepaar Schumacher der BaZ unter Androhung zivil- sowie strafrechtlicher Konsequenzen «die Verwertung von Fotografien der beiden Kinder».

Als Begründung werden ein «ungestörtes Privat- und Familienleben» sowie «Sicherheitsinteressen der Kinder» angegeben. Unter Verweis auf die einschlägige deutsche Gesetzgebung verlangt der Anwalt von den Medien, auf den Ankauf und Abdruck von Fotos der beiden Schumacher-Kinder zu verzichten.

Dagegen ist nichts einzuwenden: Kinder geniessen auch im Presserecht einen besonderen Schutz. Kinder von Prominenten sind potenzielle Entführungsopfer. Laut Rechtsprechung setzt die Veröffentlichung von Personenaufnahmen eine Einwilligung oder ein überwiegendes öffentliches Interesse voraus. Ungewöhnlich ist allerdings Schumachers präventives Vorgehen: Indem der vermögende Autorennfahrer versucht, den Handel mit Agentur- und Paparazzi-Bildern seiner Kinder zu unterbinden, schürt er den Verdacht, selber ein kommerzielles Interesse an einer Verwertung des Fotomaterials zu besitzen.

Vor vier Jahren druckte die BaZ im Zusammenhang mit Schumachers Liegenschaftssuche in der Ostschweiz ein Familienfoto ab und wurde prompt verpflichtet, dem Kinderhilfswerk Unicef einen grösseren Geldbetrag zu überweisen. Es wäre denkbar, dass sich der Rennfahrer durch diese Praxis das Image eines Wohltäters zulegen will. Ein hervorragender Geschäftsmann ist er allemal.

baz vom 23.6.2004

Geschäftsmann Michael Schumacher

Dank seiner Überlegenheit in der Formel 1 sorgt Michael Schumacher derzeit fast täglich für Schlagzeilen. Selbstverständlich hat der Superstar nichts dagegen einzuwenden, wenn die Medien über ihn berichten. Denn Erfolge ziehen Sponsoren an und lassen das Einkommen wachsen.

Der 35-Jährige hat aber sehr wohl etwas dagegen, wenn die Presse über seine Familie berichtet - insbesondere, wenn seine Kinder Gina Maria und Mick abgebildet werden. Anfang Juni erhielt die Basler Zeitung Post einer Frankfurter Anwaltskanzlei. In dem Schreiben verbietet das Ehepaar Schumacher der BaZ unter Androhung zivil- sowie strafrechtlicher Konsequenzen «die Verwertung von Fotografien der beiden Kinder».

Als Begründung werden ein «ungestörtes Privat- und Familienleben» sowie «Sicherheitsinteressen der Kinder» angegeben. Unter Verweis auf die einschlägige deutsche Gesetzgebung verlangt der Anwalt von den Medien, auf den Ankauf und Abdruck von Fotos der beiden Schumacher-Kinder zu verzichten.

Dagegen ist nichts einzuwenden: Kinder geniessen auch im Presserecht einen besonderen Schutz. Kinder von Prominenten sind potenzielle Entführungsopfer. Laut Rechtsprechung setzt die Veröffentlichung von Personenaufnahmen eine Einwilligung oder ein überwiegendes öffentliches Interesse voraus. Ungewöhnlich ist allerdings Schumachers präventives Vorgehen: Indem der vermögende Autorennfahrer versucht, den Handel mit Agentur- und Paparazzi-Bildern seiner Kinder zu unterbinden, schürt er den Verdacht, selber ein kommerzielles Interesse an einer Verwertung des Fotomaterials zu besitzen.

Vor vier Jahren druckte die BaZ im Zusammenhang mit Schumachers Liegenschaftssuche in der Ostschweiz ein Familienfoto ab und wurde prompt verpflichtet, dem Kinderhilfswerk Unicef einen grösseren Geldbetrag zu überweisen. Es wäre denkbar, dass sich der Rennfahrer durch diese Praxis das Image eines Wohltäters zulegen will. Ein hervorragender Geschäftsmann ist er allemal.

baz vom 23.6.2004

Unnötiger Schulstress

Am letzten Freitag war für die meisten Schülerinnen und Schüler in der Nordwestschweiz Notenschluss. Derzeit diskutiert die Lehrerschaft die Bewertungen und stellt die Zeugnisse aus. In zehn Tagen beginnen die wohlverdienten Sommerferien.

Doch die Erholung hat ihren Preis: Die vergangenen Wochen waren in zahlreichen Schulklassen, mehr noch in vielen Familien, ein Mega-Stress. Wie jedes Jahr am Semesterende konzentrierte sich die arbeitsintensive Phase auf wenige Wochen: Mehrere Proben täglich, Kurzreferate in unterschiedlichen Fächern und Abschlussarbeiten: Die Jugendlichen waren Tag und Nacht, ja sogar an den Wochenenden gefordert.

Da, wo der Druck zu gross wurde, halfen Eltern und Freunde, Diagramme zu zeichnen oder Internet-Recherchen zu vervollständigen. An einem Baselbieter Progymnasium setzten Schülerinnen und Schüler sogar ihre Joker-Tage fürs Lernen ein. Ein unverkennbares Zeichen für schlechte Koordination und Überforderung.

In einem solch aufgeheizten Klima werden Emotionen und Promotionsängste frei. Schaffe ich es in der knappen Zeit? Weshalb kann der Lehrer den Stoff nicht besser erklären? Warum müssen wir die Aufgabe allein schreiben, obwohl diese als Gruppenarbeit deklariert ist, bemängeln Jugendliche.

Die Fragen gehen an die Lehrerinnen und Lehrer: Warum konzentrieren Sie den wichtigsten Teil der Leistungskontrolle auf wenige Wochen? Weshalb ist es nicht möglich, Proben, Vorträge, Arbeiten und die Vervollständigung der Heftführung gleichmässig auf das ganze Semester zu verteilen? Weshalb dieser Mega-Stress zum Semesterende?

Liebe Lehrerinnen und Lehrer: Bitte reden Sie mehr miteinander und koordinieren Sie Prüfungen sowie Vorträge im Klassenbuch. Sorgen Sie dafür, dass Gruppenarbeiten diesen Namen verdienen und nicht Einzelübungen bleiben. Verderben Sie den Kindern und Jugendlichen nicht die Freude am Lernen.

Denn: Stress an der Schule ist unnötig. Nur wenn Stoffvermittlung geplant und gut koordiniert wird, bleibt auch etwas hängen.

baz vom 16.6.2004

Unnötiger Schulstress

Am letzten Freitag war für die meisten Schülerinnen und Schüler in der Nordwestschweiz Notenschluss. Derzeit diskutiert die Lehrerschaft die Bewertungen und stellt die Zeugnisse aus. In zehn Tagen beginnen die wohlverdienten Sommerferien.

Doch die Erholung hat ihren Preis: Die vergangenen Wochen waren in zahlreichen Schulklassen, mehr noch in vielen Familien, ein Mega-Stress. Wie jedes Jahr am Semesterende konzentrierte sich die arbeitsintensive Phase auf wenige Wochen: Mehrere Proben täglich, Kurzreferate in unterschiedlichen Fächern und Abschlussarbeiten: Die Jugendlichen waren Tag und Nacht, ja sogar an den Wochenenden gefordert.

Da, wo der Druck zu gross wurde, halfen Eltern und Freunde, Diagramme zu zeichnen oder Internet-Recherchen zu vervollständigen. An einem Baselbieter Progymnasium setzten Schülerinnen und Schüler sogar ihre Joker-Tage fürs Lernen ein. Ein unverkennbares Zeichen für schlechte Koordination und Überforderung.

In einem solch aufgeheizten Klima werden Emotionen und Promotionsängste frei. Schaffe ich es in der knappen Zeit? Weshalb kann der Lehrer den Stoff nicht besser erklären? Warum müssen wir die Aufgabe allein schreiben, obwohl diese als Gruppenarbeit deklariert ist, bemängeln Jugendliche.

Die Fragen gehen an die Lehrerinnen und Lehrer: Warum konzentrieren Sie den wichtigsten Teil der Leistungskontrolle auf wenige Wochen? Weshalb ist es nicht möglich, Proben, Vorträge, Arbeiten und die Vervollständigung der Heftführung gleichmässig auf das ganze Semester zu verteilen? Weshalb dieser Mega-Stress zum Semesterende?

Liebe Lehrerinnen und Lehrer: Bitte reden Sie mehr miteinander und koordinieren Sie Prüfungen sowie Vorträge im Klassenbuch. Sorgen Sie dafür, dass Gruppenarbeiten diesen Namen verdienen und nicht Einzelübungen bleiben. Verderben Sie den Kindern und Jugendlichen nicht die Freude am Lernen.

Denn: Stress an der Schule ist unnötig. Nur wenn Stoffvermittlung geplant und gut koordiniert wird, bleibt auch etwas hängen.

baz vom 16.6.2004

Mittwoch, Januar 10, 2007

«Der Deutschen glücklichster Tag»


Nachdenklich-verhalten und ohne Jubeltöne wie beim Fall der Mauer feierte Deutschland vor zehn Jahren die Wiedervereinigung. Mit von der Partie waren Politiker, die seither aus dem Rampenlicht verschwunden sind. Erinnerungen unseres damaligen Deutschland-Korrespondenten.

Im Oktober 2000 fuhren schwarze Limousinen mit ausländischen Staatsgästen durch die Strassen Berlins. In der Philharmonie sprach Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl auf einem Staatsakt vom «glücklichsten Tag der Deutschen». Am Fernsehen rief Bundeskanzler Helmut Kohl seine Landsleute zur Solidarität auf. Zu den Klängen der Freiheitsglocke wurde punkt Mitternacht vor dem Reichstag die schwarz-rot-goldene Bundesflagge gehisst.

Von Peter Schibli

Der 3. Oktober 1990 beschloss einen Prozess, der elf Monate zuvor, am 9. November 1989, mit dem Fall der Berliner Mauer begonnen hatte: 16,4 Millionen Ostdeutsche gehörten nun auf einen Schlag zur Bundesrepublik. Die Deutsche Demokratische Republik, die 41 Jahre lang bestanden hatte, existierte plötzlich nicht mehr. Über die Stadt und das Land ging ein gewaltiges Feuerwerk nieder.

Doch die Stimmung hatte sich verändert: In den Tagen des Mauerfalls war ausgelassen gefeiert worden. Am «Checkpoint Charlie», vor dem Brandenburger Tor, an der Glienicker Brücke lagen sich die Menschen in den Armen. Mit Sekt und Bier wurde die Ankunft der «Brüder und Schwestern» aus dem Osten begossen.

Gedämpfte Schlagzeilen

Skepsis, Nachdenklichkeit, ja Unsicherheit verdrängten die Ausgelassenheit, als im Herbst 1990 der «Schnellzug Deutsche Einheit» in den «gesamtdeutschen Bahnhof» einfuhr. Die Parlamente beider Staaten hatten den Einigungsvertrag verabschiedet, die D-Mark galt fortan auch in den neuen Bundesländern.

Der Stimmungswandel kam in den Schlagzeilen besonders deutlich zum Ausdruck: Mitte November 1989 hatten die Zeitungen noch getitelt: «Deutsches Volk das glücklichste der Welt» («Die Welt»), «Mauer und Stacheldraht trennen nicht mehr» («FAZ»), «Die DDR bricht die Mauer auf» («Süddeutsche») oder «Wer jetzt noch schläft, der ist schon tot» («Stern»).

Ein Jahr später klang es plötzlich nüchterner: «Die deutsche Einheit ist vollendet» («Tagesspiegel»), «Gute Nacht DDR, guten Morgen Deutschland» («Der Morgen»), «Ein Jahr danach: Mehr Tücken als Brücken» («Neues Deutschland»), «Deutsche Einheit vorschriftsmässig abgefeiert» («Tageszeitung»). Im Oktober 1990 war die Stimmung nicht mehr überschäumend, sondern nachdenklich.

Viele der deutsch-deutschen Akteure sind inzwischen von der politischen Bühne verschwunden. Einer von ihnen hiess Lothar de Maizière. Am Vorabend der Wiedervereinigung hatte der letzte Ministerpräsident der DDR eine Gruppe von Auslandjournalisten in sein Büro eingeladen, um die Ereignisse zu rekapitulieren. In leisen Tönen gestand er ein, das Tempo wie die Eigendynamik der «friedlichen Revolution» unterschätzt zu haben. Nun hoffe er, dass insbesondere die Rentner «nicht unter die Räder kommen».

Kritischer gab sich Bärbel Bohley, Mitbegründerin der Bürgerbewegung «Neues Forum»: Die «Mutter der Revolution» erklärte mir noch am Tag der Wiedervereinigung, sie halte die Entwicklung für «überstürzt». Die Menschen im Osten würden «übergangen» und «überfordert».

Kohl gegen Lafontaine

Der unsägliche Parteienstreit über den Weg zur Wiedervereinigung und die Verdienste dafür brodelte schon vor zehn Jahren: Auf den Vereinigungsparteitagen der CDU in Hamburg und der SPD in Berlin duellierten sich Bundeskanzler Kohl und der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine. Kohl warf der SPD Versagen vor, zelebrierte die Christdemokraten als «Partei der Einheit» und sich selbst als deren Motor.

Derweil setzte Lafontaine seine Sozialneid-Kampagne fort: Die schutzlose Einführung der D-Mark in der DDR sei ein «grosser Fehler» gewesen. Die Einheit könne durch den Westen nicht finanziert werden, rief er den Genossen zu. Zehn Jahre später wissen wir: Kanzler Kohl ist in Tat und Wahrheit der «Spendenmotor» der CDU gewesen. Oskar Lafontaine zog es vor, sich gänzlich aus der Politik zu verabschieden.

Belastende Langzeitfolgen

Während sich 1990 viele Ostdeutsche gegen einen überstürzten Anschluss, gegen die Vereinnahmung des Ostens durch den Westen wehrten, ist die Einheit heute Alltag. Die Konsequenzen sind dadurch nicht einfacher geworden: Arbeitslosigkeit, teure Mieten und hohe Steuern belasten die Deutschen in Ost und West.

Für die Rentnerin Gertrud Hübner, die ich während der Wendezeit in Erfurt kennen lernte, ist die Wiedervereinigung «alles andere als eine Erfolgsgeschichte»: Der 3. Oktober ist für sie kein Grund zum Jubeln. «Warum gibt es bei uns so viele Arbeitslose? Warum wird alles aus dem Westen herangekarrt? Warum stehen so viele Wohnungen leer?», fragte sie mich unlängst und stellte verbittert fest: «Das Gesundheitswesen war früher sozialer, humaner. Die neuen Ärzte sind verbürokratisierte Beamte, keine Mediziner mehr.»

Wie Recht hatte doch Bundespräsident Roman Herzog, als er zum fünften Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung erklärte: «Nach vierzig Jahren Teilung benötigen wir eine Generation, um die Folgen des Getrenntseins wirtschaftlich wie gesellschaftspolitisch zu überwinden.» (Publiziert am 3.10.2000 in der Basler Zeitung)

«Der Deutschen glücklichster Tag»


Nachdenklich-verhalten und ohne Jubeltöne wie beim Fall der Mauer feierte Deutschland vor zehn Jahren die Wiedervereinigung. Mit von der Partie waren Politiker, die seither aus dem Rampenlicht verschwunden sind. Erinnerungen unseres damaligen Deutschland-Korrespondenten.

Im Oktober 2000 fuhren schwarze Limousinen mit ausländischen Staatsgästen durch die Strassen Berlins. In der Philharmonie sprach Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl auf einem Staatsakt vom «glücklichsten Tag der Deutschen». Am Fernsehen rief Bundeskanzler Helmut Kohl seine Landsleute zur Solidarität auf. Zu den Klängen der Freiheitsglocke wurde punkt Mitternacht vor dem Reichstag die schwarz-rot-goldene Bundesflagge gehisst.

Von Peter Schibli

Der 3. Oktober 1990 beschloss einen Prozess, der elf Monate zuvor, am 9. November 1989, mit dem Fall der Berliner Mauer begonnen hatte: 16,4 Millionen Ostdeutsche gehörten nun auf einen Schlag zur Bundesrepublik. Die Deutsche Demokratische Republik, die 41 Jahre lang bestanden hatte, existierte plötzlich nicht mehr. Über die Stadt und das Land ging ein gewaltiges Feuerwerk nieder.

Doch die Stimmung hatte sich verändert: In den Tagen des Mauerfalls war ausgelassen gefeiert worden. Am «Checkpoint Charlie», vor dem Brandenburger Tor, an der Glienicker Brücke lagen sich die Menschen in den Armen. Mit Sekt und Bier wurde die Ankunft der «Brüder und Schwestern» aus dem Osten begossen.

Gedämpfte Schlagzeilen

Skepsis, Nachdenklichkeit, ja Unsicherheit verdrängten die Ausgelassenheit, als im Herbst 1990 der «Schnellzug Deutsche Einheit» in den «gesamtdeutschen Bahnhof» einfuhr. Die Parlamente beider Staaten hatten den Einigungsvertrag verabschiedet, die D-Mark galt fortan auch in den neuen Bundesländern.

Der Stimmungswandel kam in den Schlagzeilen besonders deutlich zum Ausdruck: Mitte November 1989 hatten die Zeitungen noch getitelt: «Deutsches Volk das glücklichste der Welt» («Die Welt»), «Mauer und Stacheldraht trennen nicht mehr» («FAZ»), «Die DDR bricht die Mauer auf» («Süddeutsche») oder «Wer jetzt noch schläft, der ist schon tot» («Stern»).

Ein Jahr später klang es plötzlich nüchterner: «Die deutsche Einheit ist vollendet» («Tagesspiegel»), «Gute Nacht DDR, guten Morgen Deutschland» («Der Morgen»), «Ein Jahr danach: Mehr Tücken als Brücken» («Neues Deutschland»), «Deutsche Einheit vorschriftsmässig abgefeiert» («Tageszeitung»). Im Oktober 1990 war die Stimmung nicht mehr überschäumend, sondern nachdenklich.

Viele der deutsch-deutschen Akteure sind inzwischen von der politischen Bühne verschwunden. Einer von ihnen hiess Lothar de Maizière. Am Vorabend der Wiedervereinigung hatte der letzte Ministerpräsident der DDR eine Gruppe von Auslandjournalisten in sein Büro eingeladen, um die Ereignisse zu rekapitulieren. In leisen Tönen gestand er ein, das Tempo wie die Eigendynamik der «friedlichen Revolution» unterschätzt zu haben. Nun hoffe er, dass insbesondere die Rentner «nicht unter die Räder kommen».

Kritischer gab sich Bärbel Bohley, Mitbegründerin der Bürgerbewegung «Neues Forum»: Die «Mutter der Revolution» erklärte mir noch am Tag der Wiedervereinigung, sie halte die Entwicklung für «überstürzt». Die Menschen im Osten würden «übergangen» und «überfordert».

Kohl gegen Lafontaine

Der unsägliche Parteienstreit über den Weg zur Wiedervereinigung und die Verdienste dafür brodelte schon vor zehn Jahren: Auf den Vereinigungsparteitagen der CDU in Hamburg und der SPD in Berlin duellierten sich Bundeskanzler Kohl und der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine. Kohl warf der SPD Versagen vor, zelebrierte die Christdemokraten als «Partei der Einheit» und sich selbst als deren Motor.

Derweil setzte Lafontaine seine Sozialneid-Kampagne fort: Die schutzlose Einführung der D-Mark in der DDR sei ein «grosser Fehler» gewesen. Die Einheit könne durch den Westen nicht finanziert werden, rief er den Genossen zu. Zehn Jahre später wissen wir: Kanzler Kohl ist in Tat und Wahrheit der «Spendenmotor» der CDU gewesen. Oskar Lafontaine zog es vor, sich gänzlich aus der Politik zu verabschieden.

Belastende Langzeitfolgen

Während sich 1990 viele Ostdeutsche gegen einen überstürzten Anschluss, gegen die Vereinnahmung des Ostens durch den Westen wehrten, ist die Einheit heute Alltag. Die Konsequenzen sind dadurch nicht einfacher geworden: Arbeitslosigkeit, teure Mieten und hohe Steuern belasten die Deutschen in Ost und West.

Für die Rentnerin Gertrud Hübner, die ich während der Wendezeit in Erfurt kennen lernte, ist die Wiedervereinigung «alles andere als eine Erfolgsgeschichte»: Der 3. Oktober ist für sie kein Grund zum Jubeln. «Warum gibt es bei uns so viele Arbeitslose? Warum wird alles aus dem Westen herangekarrt? Warum stehen so viele Wohnungen leer?», fragte sie mich unlängst und stellte verbittert fest: «Das Gesundheitswesen war früher sozialer, humaner. Die neuen Ärzte sind verbürokratisierte Beamte, keine Mediziner mehr.»

Wie Recht hatte doch Bundespräsident Roman Herzog, als er zum fünften Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung erklärte: «Nach vierzig Jahren Teilung benötigen wir eine Generation, um die Folgen des Getrenntseins wirtschaftlich wie gesellschaftspolitisch zu überwinden.» (Publiziert am 3.10.2000 in der Basler Zeitung)

Montag, Januar 08, 2007

Der tägliche Kampf gegen die Müllflut


Basel möchte die sauberste Stadt der Schweiz sein. Wie steht es mit diesem Anspruch in der Realität? Was wird auf Strassen und in öffentlichen Kübeln deponiert? baz-Redaktor Peter Schibli begleitete am Osterdienstag Mitarbeitende der Stadtreinigung, leerte Container, Abfalleimer und putzte das Rheinufer.

Es ist 3.45 Uhr. Im Depot am Riehenring 3 gehen die Lichter an. Während Normalsterbliche noch schlafen, stellen die Mitarbeiter der Stadtreinigung Fahrzeuge auf den Hof und verladen Behälter. Der Vorarbeiter geht die Tagesliste mit den Mitarbeitenden durch. Für mich liegen saubere Handschuhe, eine orange Sicherheitsweste und ein Dreikant-Schlüssel bereit. Um 3.55 Uhr fragt Franco Viterale: «Bist du bereit? Gehen wir?»

Der 44-Jährige arbeitet seit 16 Jahren beim Baudepartement. Vor acht Jahren hat er zur Stadtreinigung gewechselt. Ich klettere auf den Beifahrersitz seines Lasters. Gemeinsam fahren wir auf den Barfi. An der Ecke zum Stadtcasino beginnen wir mit dem Leeren der Behälter: Die sieben blauen Grosscontainer sind je rund zur Hälfte mit Glasflaschen, Bierbüchsen, Pizza-schachteln und Kleinmüll gefüllt. Mit Hilfe der Hydraulik ziehen wir die Container hoch und kippen den Inhalt in den Transporter. Unterdessen spritzt ein Schwemmwagen die Strasse ab.

Durch die Freie Strasse geht es hinunter auf den Marktplatz. Franco übergibt mir eine Rolltonne und demonstriert, wie ich mit dem «Dreikant» die «Expo-Eimer» öffne. Mein Job ist es, den Inhalt der 15 Kübel zwischen «Brillen Fielmann» und «Interdiscount» zu leeren. Speisereste, verschimmeltes Brot, Zeitungen, Plastikbecher, zerdrückte Pet-Flaschen und zugeklebte Kinderwindeln verschwinden in der Tonne. Je mehr sich diese füllt, desto penetranter stinkt es.

HAUSKEHRICHT. Jenseits der Mittleren Brücke sticht mir um 5.30 Uhr der Geruch des ersten Sacks mit Hauskehricht in die Nase. Igitt! Da hat jemand die Bebbi-Sackgebühr gespart und seinen Hausrat in einem öffentlichen Abfalleimer entsorgt. «Einige wenige benehmen sich wie menschliche Schweine und sorgen dafür, dass wir sehr viel mehr Arbeit haben als nötig», bemerkt Franco. Hauskehricht öffentlich zu entsorgen ist verboten. Ein «Güselpolizist» sammelt Spuren und knöpft sich die übelsten Verursacher vor. In krassen Fällen wird gebüsst.

Auf dem Claraplatz steckt in einem Mülleimer ein kaputter Schirm mit Europa-Logo. Den könnte ich jetzt gebrauchen, denn es beginnt zu regnen. Durch die Clarastrasse stossen wir Richtung Messeplatz vor. Dort befinden sich die letzten «Nachtvögel» auf dem Heimweg. Lallende Alkoholiker, frierende Obdachlose und verwelkte «Damen der Nacht» sind unterwegs. Das erste Tram kreuzt unseren Weg. Eine Wischmaschine putzt das Trottoir.

FRÜHSTÜCK. Um 6.45 Uhr, nachdem wir die Kübel vor dem Badischen Bahnhof, entlang der Feldbergstrasse und auf dem Wettsteinplatz geleert haben, machen wir im Depot unter der Wettsteinbrücke Pause. Am Tisch sitzt Nicola D’Alessandro vor einem Brot, einem Cervelat und einem Glas Rotwein. Genau wie Franco stammt auch er aus Italien. Warum vor allem Ausländer und fast keine Schweizer bei der Stadtreinigung arbeiten, will ich von ihm wissen. «Weiss nicht. Vielleicht, weil es Drecksarbeit oder weil der Job zu wenig interessant ist», meint der 59-Jährige diplomatisch.

Noch ist die Stadt nicht super-dreckig. Im Sommer aber, nach warmen Nächten mit feucht-fröhlichen Partys und üppigen Feten, türmt sich in der Innerstadt der Müll. Vor allem am Rheinufer zwischen Solitude und Kaserne sind die Container dann übervoll. Entsprechend sieht es auch auf den Gehwegen und auf den Rheinstufen aus. «Letzten Samstag kippten unbekannte Dummköpfe den Inhalt von vier Containern auf die Treppenstufen bei der Löwen-Fähre», erzählt Nicola hörbar angewidert. Das Aufputzen hat ihm tüchtig gestunken.

DROHUNGEN. Ob er Passanten mahne, wenn er sie beim illegalen Müllentsorgen beobachte, will ich wissen. «Das mache ich nicht mehr. Ich will doch nicht Krach. Einmal hat mir einer gedroht und gesagt, er zahle hier Steuern. Ich soll gefälligst schweigen ... und arbeiten ...» erzählt Nicola, während er Plastiksäcke, Styroporschachteln, alte Schuhe, nasse Zeitschriften und einen Sack mit Hygieneprodukten aus einem Container holt. Den Kleinmüll wischt er mit dem Besen zusammen.

Um 8.30 Uhr wechsle ich ins Horburgquartier. Im Depot an der Hammerstrasse erwartet mich Vorarbeiter Norbert Sommerhalder. Der Elsässer putzt zusammen mit sechs Mitarbeitenden das Dreirosenquartier. In seinem Elektrofahrzeug fahren wir kreuz und quer durch die Seitenstrassen. Auf dem Hammerplatz treffen wir auf eine wilde Deponie: Rund um einen Abfalleimer haben Anwohner mit Hausmüll gefüllte Plastiksäcke, alte Möbelstücke und einen defekten PC-Monitor gestapelt. 70 Prozent des in den Aussenquartieren gesammelten Abfalls sei Hausmüll, kommentiert der 42-Jährige.

VIDEOÜBERWACHUNG. An der Ecke Bärenfelserstrasse/Oetlingerstrasse hat sich die Situation leicht gebessert, seit Anwohner an einer Hauswand eine Videokamera installierten. Das «elektronische Auge» wirkt abschreckend. Trotzdem finde ich im Kübel verdorbene Teigwaren, Altpapier, Wodka-Flaschen und eine Bussenquittung aus Lörrach, mit markierter BS-Nummer notabene. Auch hier bestätigt eine Anwohnerin, dass «einige wenige Abfallsünder den vielen Ordnungsliebenden im Quartier den Appetit verderben».

Würden mehr Kübel und Container die Situation nicht entspannen?, frage ich Bernhard Güntert, Leiter des Innerstadtkreises. «Mehr Kübel würden mehr Abfall anziehen», meint er lakonisch und ergänzt: «Das Deponieren von Hauskehricht ist kein Problem der Kübelkapazität, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem.» Es könne nur durch Erziehung und eine harte Linie gelöst werden. Herr Güntert hat Recht: Solange jeden Morgen die öffentlichen Abfalleimer mit Hauskehricht überquellen, ist es schwer, an den Mythos der «saubersten Stadt» zu glauben.

>www.baz.ch/go/abfall


5000 Tonnen Abfälle und 884 Mülleimer

STATISTIK.
Rund 1000 Mitarbeitende der Stadtreinigung befreien im Zweischichtenbetrieb die Basler Innerstadt (7 Tage/Woche, 489 Abfallkübel) sowie die Aussenquartiere (5 Tage/Woche, 395 Abfallkübel) von ca. 5000 Tonnen Müll/Jahr.

Wie kann das Volumen des Hauskehrichts wirksam reduziert werden?

>Brauchbare Sachen im Brockenhaus abgeben. Kleider in die Kleidersammlung.

>Zeitungen sowie Karton getrennt sammeln und der Papierabfuhr zuführen.

>Glas in den Glascontainer, Metall in die Metallabfuhr, Alu in spezielle Container.

>Grobsperrgut wie Möbel mit entsprechender Marke in die Grobsperrgutabfuhr.

>Grüngut, Gartenabfälle, Baumschnitt etc. in den Grüngut-Container.

>Elektronisches Material, Computer, TV und Batterien zurück ins Fachgeschäft.

>Pet-Flaschen und Milchpackungen in die separaten Sammelstellen. ps

>«richtig Entsorgen», Sauberbuch des Baudepartements: www.stadtreinigung-bs.ch

Der tägliche Kampf gegen die Müllflut


Basel möchte die sauberste Stadt der Schweiz sein. Wie steht es mit diesem Anspruch in der Realität? Was wird auf Strassen und in öffentlichen Kübeln deponiert? baz-Redaktor Peter Schibli begleitete am Osterdienstag Mitarbeitende der Stadtreinigung, leerte Container, Abfalleimer und putzte das Rheinufer.

Es ist 3.45 Uhr. Im Depot am Riehenring 3 gehen die Lichter an. Während Normalsterbliche noch schlafen, stellen die Mitarbeiter der Stadtreinigung Fahrzeuge auf den Hof und verladen Behälter. Der Vorarbeiter geht die Tagesliste mit den Mitarbeitenden durch. Für mich liegen saubere Handschuhe, eine orange Sicherheitsweste und ein Dreikant-Schlüssel bereit. Um 3.55 Uhr fragt Franco Viterale: «Bist du bereit? Gehen wir?»

Der 44-Jährige arbeitet seit 16 Jahren beim Baudepartement. Vor acht Jahren hat er zur Stadtreinigung gewechselt. Ich klettere auf den Beifahrersitz seines Lasters. Gemeinsam fahren wir auf den Barfi. An der Ecke zum Stadtcasino beginnen wir mit dem Leeren der Behälter: Die sieben blauen Grosscontainer sind je rund zur Hälfte mit Glasflaschen, Bierbüchsen, Pizza-schachteln und Kleinmüll gefüllt. Mit Hilfe der Hydraulik ziehen wir die Container hoch und kippen den Inhalt in den Transporter. Unterdessen spritzt ein Schwemmwagen die Strasse ab.

Durch die Freie Strasse geht es hinunter auf den Marktplatz. Franco übergibt mir eine Rolltonne und demonstriert, wie ich mit dem «Dreikant» die «Expo-Eimer» öffne. Mein Job ist es, den Inhalt der 15 Kübel zwischen «Brillen Fielmann» und «Interdiscount» zu leeren. Speisereste, verschimmeltes Brot, Zeitungen, Plastikbecher, zerdrückte Pet-Flaschen und zugeklebte Kinderwindeln verschwinden in der Tonne. Je mehr sich diese füllt, desto penetranter stinkt es.

HAUSKEHRICHT. Jenseits der Mittleren Brücke sticht mir um 5.30 Uhr der Geruch des ersten Sacks mit Hauskehricht in die Nase. Igitt! Da hat jemand die Bebbi-Sackgebühr gespart und seinen Hausrat in einem öffentlichen Abfalleimer entsorgt. «Einige wenige benehmen sich wie menschliche Schweine und sorgen dafür, dass wir sehr viel mehr Arbeit haben als nötig», bemerkt Franco. Hauskehricht öffentlich zu entsorgen ist verboten. Ein «Güselpolizist» sammelt Spuren und knöpft sich die übelsten Verursacher vor. In krassen Fällen wird gebüsst.

Auf dem Claraplatz steckt in einem Mülleimer ein kaputter Schirm mit Europa-Logo. Den könnte ich jetzt gebrauchen, denn es beginnt zu regnen. Durch die Clarastrasse stossen wir Richtung Messeplatz vor. Dort befinden sich die letzten «Nachtvögel» auf dem Heimweg. Lallende Alkoholiker, frierende Obdachlose und verwelkte «Damen der Nacht» sind unterwegs. Das erste Tram kreuzt unseren Weg. Eine Wischmaschine putzt das Trottoir.

FRÜHSTÜCK. Um 6.45 Uhr, nachdem wir die Kübel vor dem Badischen Bahnhof, entlang der Feldbergstrasse und auf dem Wettsteinplatz geleert haben, machen wir im Depot unter der Wettsteinbrücke Pause. Am Tisch sitzt Nicola D’Alessandro vor einem Brot, einem Cervelat und einem Glas Rotwein. Genau wie Franco stammt auch er aus Italien. Warum vor allem Ausländer und fast keine Schweizer bei der Stadtreinigung arbeiten, will ich von ihm wissen. «Weiss nicht. Vielleicht, weil es Drecksarbeit oder weil der Job zu wenig interessant ist», meint der 59-Jährige diplomatisch.

Noch ist die Stadt nicht super-dreckig. Im Sommer aber, nach warmen Nächten mit feucht-fröhlichen Partys und üppigen Feten, türmt sich in der Innerstadt der Müll. Vor allem am Rheinufer zwischen Solitude und Kaserne sind die Container dann übervoll. Entsprechend sieht es auch auf den Gehwegen und auf den Rheinstufen aus. «Letzten Samstag kippten unbekannte Dummköpfe den Inhalt von vier Containern auf die Treppenstufen bei der Löwen-Fähre», erzählt Nicola hörbar angewidert. Das Aufputzen hat ihm tüchtig gestunken.

DROHUNGEN. Ob er Passanten mahne, wenn er sie beim illegalen Müllentsorgen beobachte, will ich wissen. «Das mache ich nicht mehr. Ich will doch nicht Krach. Einmal hat mir einer gedroht und gesagt, er zahle hier Steuern. Ich soll gefälligst schweigen ... und arbeiten ...» erzählt Nicola, während er Plastiksäcke, Styroporschachteln, alte Schuhe, nasse Zeitschriften und einen Sack mit Hygieneprodukten aus einem Container holt. Den Kleinmüll wischt er mit dem Besen zusammen.

Um 8.30 Uhr wechsle ich ins Horburgquartier. Im Depot an der Hammerstrasse erwartet mich Vorarbeiter Norbert Sommerhalder. Der Elsässer putzt zusammen mit sechs Mitarbeitenden das Dreirosenquartier. In seinem Elektrofahrzeug fahren wir kreuz und quer durch die Seitenstrassen. Auf dem Hammerplatz treffen wir auf eine wilde Deponie: Rund um einen Abfalleimer haben Anwohner mit Hausmüll gefüllte Plastiksäcke, alte Möbelstücke und einen defekten PC-Monitor gestapelt. 70 Prozent des in den Aussenquartieren gesammelten Abfalls sei Hausmüll, kommentiert der 42-Jährige.

VIDEOÜBERWACHUNG. An der Ecke Bärenfelserstrasse/Oetlingerstrasse hat sich die Situation leicht gebessert, seit Anwohner an einer Hauswand eine Videokamera installierten. Das «elektronische Auge» wirkt abschreckend. Trotzdem finde ich im Kübel verdorbene Teigwaren, Altpapier, Wodka-Flaschen und eine Bussenquittung aus Lörrach, mit markierter BS-Nummer notabene. Auch hier bestätigt eine Anwohnerin, dass «einige wenige Abfallsünder den vielen Ordnungsliebenden im Quartier den Appetit verderben».

Würden mehr Kübel und Container die Situation nicht entspannen?, frage ich Bernhard Güntert, Leiter des Innerstadtkreises. «Mehr Kübel würden mehr Abfall anziehen», meint er lakonisch und ergänzt: «Das Deponieren von Hauskehricht ist kein Problem der Kübelkapazität, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem.» Es könne nur durch Erziehung und eine harte Linie gelöst werden. Herr Güntert hat Recht: Solange jeden Morgen die öffentlichen Abfalleimer mit Hauskehricht überquellen, ist es schwer, an den Mythos der «saubersten Stadt» zu glauben.

>www.baz.ch/go/abfall


5000 Tonnen Abfälle und 884 Mülleimer

STATISTIK.
Rund 1000 Mitarbeitende der Stadtreinigung befreien im Zweischichtenbetrieb die Basler Innerstadt (7 Tage/Woche, 489 Abfallkübel) sowie die Aussenquartiere (5 Tage/Woche, 395 Abfallkübel) von ca. 5000 Tonnen Müll/Jahr.

Wie kann das Volumen des Hauskehrichts wirksam reduziert werden?

>Brauchbare Sachen im Brockenhaus abgeben. Kleider in die Kleidersammlung.

>Zeitungen sowie Karton getrennt sammeln und der Papierabfuhr zuführen.

>Glas in den Glascontainer, Metall in die Metallabfuhr, Alu in spezielle Container.

>Grobsperrgut wie Möbel mit entsprechender Marke in die Grobsperrgutabfuhr.

>Grüngut, Gartenabfälle, Baumschnitt etc. in den Grüngut-Container.

>Elektronisches Material, Computer, TV und Batterien zurück ins Fachgeschäft.

>Pet-Flaschen und Milchpackungen in die separaten Sammelstellen. ps

>«richtig Entsorgen», Sauberbuch des Baudepartements: www.stadtreinigung-bs.ch

Samstag, Januar 06, 2007

Zerfall bedroht das Pioniergefängnis von einst


Bei seiner Eröffnung war es das modernste Gebäude der Vereinigten Staaten, eine Pioniereinrichtung: Heute, 168 Jahre später, droht dem Staatsgefängnis in Philadelphia der Zerfall. Um das historische Bauwerk zu retten, werden mehrere Millionen Dollar benötigt.

Der Gang durch die fünfzehn Zellenblocks wird zum niederschmetternden Erlebnis: Von den Wänden blättert der weisse Verputz. Wasserleitungen rosten vor sich hin. Zellentüren und Eisengitter lassen sich nicht mehr bewegen. Der Esswagen, mit dem die Gefangenen während Jahrzehnten verpflegt worden waren, bricht auseinander. Im Innenhof wuchert das Unkraut.

Von Peter Schibli, Philadelphia

Das «Eastern State Penitentiary» (ESP) zählt zu den berühmtesten Gebäuden der USA. Doch der Zahn der Zeit nagt unübersehbar an dem historischen Bauwerk. Zwar steht das Staatsgefängnis in Philadelphia auf der Liste des «World Monuments Fund». Doch eine Rettung des Monuments ist gegenwärtig nicht in Sicht.

Revolutionäre Einrichtungen

Einer gotischen Burg ähnlich trotzt das Gefängnis seiner Umgebung, der Innenstadt von Philadelphia. Zehn Meter hohe und drei Meter dicke Granitmauern umgeben die speichenförmig um eine Rotunde angeordneten Zellenblocks. Knarrend dreht sich der Schlüssel im Schloss. Wir treten ein. Rechts des Hauptportals befindet sich der erste Block. In der zwei auf drei Meter grossen Zelle stehen ein Metallbett, ein Tisch und eine WC-Schüssel. - Revolutionär waren diese sanitären Einrichtungen im Eröffnungsjahr 1829 (verfügte doch damals nicht einmal das Weisse Haus über fliessendes Wasser). Eine Zentralheizung sorgte im Winter für Wärme. Jede Zelle verfügte über einen eigenen «Excercise Court», in dem sich die Insassen täglich eine Stunde lang fit halten konnten.

Das Bauwerk war von der «Gesellschaft zur Verbesserung der Zustände im Gefängniswesen» («Philadelphia Society for Alleviating the Miseries of Public Prisons») geplant worden. Der Architekt John Haviland hatte 1822 mit der Realisierung begonnen. Die Eröffnung fand sieben Jahre später, 1829, statt. Mit Kosten in Höhe 780 000 Dollar war der Bau zu seiner Zeit das teuerste Gebäude in den USA. Rund dreihundert Gefängnisse in aller Welt wurden nach diesem Vorbild gebaut.

Revolutionär war im 19. Jahrhundert auch die Philosophie des im ESP praktizierten Strafvollzugs: Nach Überzeugung der Quäker sollten die Gefangenen durch Arbeit, Isolationshaft und Reflexionen über ihre Sünden resozialisiert werden. «Beten und sich bessern» lautete der Slogan des «Pennsylvania-Systems».

Ein «Auge Gottes»

Die weiss gestrichenen Zellen repräsentierten Reinheit und den Wunsch nach Vergebung. Eine Öffnung in der Decke, durch die Tageslicht eindrang, wurde «Auge Gottes» genannt. Doch je mehr Gefangene in der Einrichtung untergebracht wurden, desto stärker geriet die resozialisierende Funktion der Freiheitsstrafe in den Hintergrund. Unter dem Einfluss des Zeitgeistes und dem massiven Anstieg der Verbrecherzahlen wurde das Experiment 1913 für gescheitert erklärt. Repressive Strafen, Vergeltung und Sühne dominierten fortan den Gefängnisalltag.

Umstritten war der Pionierbau bereits im letzten Jahrhundert. Alexis de Tocqueville stellte 1831 nach einem Besuch fest, der in Philadelphia praktizierte Strafvollzug führe den Gefangenen «durch Reflexion zur Reue und durch die Religion zur Hoffnung». Weniger begeistert zeigte sich 1842 Charles Dickens. Er schrieb in den «American Notes», moderner Strafvollzug sei «schlimmer als körperliche Folter».

Die vier Hektaren grosse Haftanstalt diente 142 Jahre lang für den Vollzug von Freiheitsstrafen nicht unter zwei Jahren. Wer weniger aufgebrummt erhielt, wurde an ein «Gemeindegefängnis» überwiesen. Berühmtester Gefangener war der Gangsterboss aus Chicago, Al Capone, der 1929/30 in Philadelphia inhaftiert war. 1924 wurde im ESP gar ein Hund einquartiert: Pennsylvanias Gouverneur Gifford Pinchot hatte den Vierbeiner Pep wegen der Tötung einer Katze zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt.

Nach dem Auszug der letzten Gefangenen im Jahr 1971 begann der Streit über eine Nutzungsänderung. Der Detailhandel wollte Boutiquen und Spezialgeschäfte unterbringen. Zeitweise war gar von einem Shopping-Center die Rede. Doch die Traditionalisten trugen bis heute den Sieg davon.

Um Subventionen gebeten

Seit drei Jahren sind Teile des ESP ein Museum. Da die Eintrittsgelder für die Renovationsarbeiten nicht ausreichen, hat das Betreiberkomitee den Bundesstaat Pennsylvania um Subventionen gebeten. Nach Angaben von Programmdirektor Sean M. Kelly will der Staat in den kommenden fünf Jahren jährlich eine Million Dollar für Renovationsarbeiten zur Verfügung stellen, wenn durch Museumseinnahmen, Sonderveranstaltungen und Sammlungen mindestens vier Millionen Dollar zusammenkommen. Kelly glaubt, dass die kommenden zwei Jahre über das Schicksal des Mahnmals (Abriss oder Erhalt) entscheiden werden. 25 Millionen Dollar würden nach seinen Berechnungen für die Restauration benötigt.

Schützenswert

Philadelphia. ps. Der «World Monuments Fund», eine internationale, nicht-profitorientierte Organisation, hat im Mai 1996 erstmals eine Liste mit den hundert am stärksten gefährdeten Baudenkmälern der Welt veröffentlicht. Ausser dem «Eastern State Penitentiary» befinden sich die Altstadt von Dubrovnik, Neros Palast in Rom, der Taj Mahal in Indien, die Tempel von Angkor in Kambodscha sowie die Belvedere-Gärten in Wien darunter.

Zur Rettung der Anlagen wurden bisher vier Millionen Dollar gesammelt. Am kommenden 5. September will die Stiftung eine aktualisierte Liste mit erhaltenswerten Bauwerken veröffentlichen und ihren Spendenaufruf erneuern.

Mustergefängnis

Das Gebäude zählt zu den berühmtesten der Vereinigten Staaten: Die Renovation des ehemaligen Mustergefängnisses im Zentrum der Stadt Philadelphia würde rund 25 Millionen Dollar kosten. Noch steht nicht fest, ob sie aufzubringen sind.

Zerfall bedroht das Pioniergefängnis von einst


Bei seiner Eröffnung war es das modernste Gebäude der Vereinigten Staaten, eine Pioniereinrichtung: Heute, 168 Jahre später, droht dem Staatsgefängnis in Philadelphia der Zerfall. Um das historische Bauwerk zu retten, werden mehrere Millionen Dollar benötigt.

Der Gang durch die fünfzehn Zellenblocks wird zum niederschmetternden Erlebnis: Von den Wänden blättert der weisse Verputz. Wasserleitungen rosten vor sich hin. Zellentüren und Eisengitter lassen sich nicht mehr bewegen. Der Esswagen, mit dem die Gefangenen während Jahrzehnten verpflegt worden waren, bricht auseinander. Im Innenhof wuchert das Unkraut.

Von Peter Schibli, Philadelphia

Das «Eastern State Penitentiary» (ESP) zählt zu den berühmtesten Gebäuden der USA. Doch der Zahn der Zeit nagt unübersehbar an dem historischen Bauwerk. Zwar steht das Staatsgefängnis in Philadelphia auf der Liste des «World Monuments Fund». Doch eine Rettung des Monuments ist gegenwärtig nicht in Sicht.

Revolutionäre Einrichtungen

Einer gotischen Burg ähnlich trotzt das Gefängnis seiner Umgebung, der Innenstadt von Philadelphia. Zehn Meter hohe und drei Meter dicke Granitmauern umgeben die speichenförmig um eine Rotunde angeordneten Zellenblocks. Knarrend dreht sich der Schlüssel im Schloss. Wir treten ein. Rechts des Hauptportals befindet sich der erste Block. In der zwei auf drei Meter grossen Zelle stehen ein Metallbett, ein Tisch und eine WC-Schüssel. - Revolutionär waren diese sanitären Einrichtungen im Eröffnungsjahr 1829 (verfügte doch damals nicht einmal das Weisse Haus über fliessendes Wasser). Eine Zentralheizung sorgte im Winter für Wärme. Jede Zelle verfügte über einen eigenen «Excercise Court», in dem sich die Insassen täglich eine Stunde lang fit halten konnten.

Das Bauwerk war von der «Gesellschaft zur Verbesserung der Zustände im Gefängniswesen» («Philadelphia Society for Alleviating the Miseries of Public Prisons») geplant worden. Der Architekt John Haviland hatte 1822 mit der Realisierung begonnen. Die Eröffnung fand sieben Jahre später, 1829, statt. Mit Kosten in Höhe 780 000 Dollar war der Bau zu seiner Zeit das teuerste Gebäude in den USA. Rund dreihundert Gefängnisse in aller Welt wurden nach diesem Vorbild gebaut.

Revolutionär war im 19. Jahrhundert auch die Philosophie des im ESP praktizierten Strafvollzugs: Nach Überzeugung der Quäker sollten die Gefangenen durch Arbeit, Isolationshaft und Reflexionen über ihre Sünden resozialisiert werden. «Beten und sich bessern» lautete der Slogan des «Pennsylvania-Systems».

Ein «Auge Gottes»

Die weiss gestrichenen Zellen repräsentierten Reinheit und den Wunsch nach Vergebung. Eine Öffnung in der Decke, durch die Tageslicht eindrang, wurde «Auge Gottes» genannt. Doch je mehr Gefangene in der Einrichtung untergebracht wurden, desto stärker geriet die resozialisierende Funktion der Freiheitsstrafe in den Hintergrund. Unter dem Einfluss des Zeitgeistes und dem massiven Anstieg der Verbrecherzahlen wurde das Experiment 1913 für gescheitert erklärt. Repressive Strafen, Vergeltung und Sühne dominierten fortan den Gefängnisalltag.

Umstritten war der Pionierbau bereits im letzten Jahrhundert. Alexis de Tocqueville stellte 1831 nach einem Besuch fest, der in Philadelphia praktizierte Strafvollzug führe den Gefangenen «durch Reflexion zur Reue und durch die Religion zur Hoffnung». Weniger begeistert zeigte sich 1842 Charles Dickens. Er schrieb in den «American Notes», moderner Strafvollzug sei «schlimmer als körperliche Folter».

Die vier Hektaren grosse Haftanstalt diente 142 Jahre lang für den Vollzug von Freiheitsstrafen nicht unter zwei Jahren. Wer weniger aufgebrummt erhielt, wurde an ein «Gemeindegefängnis» überwiesen. Berühmtester Gefangener war der Gangsterboss aus Chicago, Al Capone, der 1929/30 in Philadelphia inhaftiert war. 1924 wurde im ESP gar ein Hund einquartiert: Pennsylvanias Gouverneur Gifford Pinchot hatte den Vierbeiner Pep wegen der Tötung einer Katze zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt.

Nach dem Auszug der letzten Gefangenen im Jahr 1971 begann der Streit über eine Nutzungsänderung. Der Detailhandel wollte Boutiquen und Spezialgeschäfte unterbringen. Zeitweise war gar von einem Shopping-Center die Rede. Doch die Traditionalisten trugen bis heute den Sieg davon.

Um Subventionen gebeten

Seit drei Jahren sind Teile des ESP ein Museum. Da die Eintrittsgelder für die Renovationsarbeiten nicht ausreichen, hat das Betreiberkomitee den Bundesstaat Pennsylvania um Subventionen gebeten. Nach Angaben von Programmdirektor Sean M. Kelly will der Staat in den kommenden fünf Jahren jährlich eine Million Dollar für Renovationsarbeiten zur Verfügung stellen, wenn durch Museumseinnahmen, Sonderveranstaltungen und Sammlungen mindestens vier Millionen Dollar zusammenkommen. Kelly glaubt, dass die kommenden zwei Jahre über das Schicksal des Mahnmals (Abriss oder Erhalt) entscheiden werden. 25 Millionen Dollar würden nach seinen Berechnungen für die Restauration benötigt.

Schützenswert

Philadelphia. ps. Der «World Monuments Fund», eine internationale, nicht-profitorientierte Organisation, hat im Mai 1996 erstmals eine Liste mit den hundert am stärksten gefährdeten Baudenkmälern der Welt veröffentlicht. Ausser dem «Eastern State Penitentiary» befinden sich die Altstadt von Dubrovnik, Neros Palast in Rom, der Taj Mahal in Indien, die Tempel von Angkor in Kambodscha sowie die Belvedere-Gärten in Wien darunter.

Zur Rettung der Anlagen wurden bisher vier Millionen Dollar gesammelt. Am kommenden 5. September will die Stiftung eine aktualisierte Liste mit erhaltenswerten Bauwerken veröffentlichen und ihren Spendenaufruf erneuern.

Mustergefängnis

Das Gebäude zählt zu den berühmtesten der Vereinigten Staaten: Die Renovation des ehemaligen Mustergefängnisses im Zentrum der Stadt Philadelphia würde rund 25 Millionen Dollar kosten. Noch steht nicht fest, ob sie aufzubringen sind.